*Ein Händler gibt Mitte Ronas einen in einen versiegelten Umschlag gesteckten Brief ab. Das Siegel ist sehr schlicht, jemand hat mit einem Messer einen stilisierten Eisvogel ins weiche Wachs geritzt. Auf dem Umschlag steht nur:
Der Umschlag enthält drei Seiten eng beschriebenes Pergament. Die Schrift ist geübt und klar, aber sie zeigt Anzeichen der Eile der Jugend, an manchen Stellen ist sie weniger ordentlich und klar, als sie sein müsste. Der Schreiber neigt dazu, Buchstaben leicht eckig zu formen, als schreibe er lieber Runen als in der Gemeinschrift. Ein Nichtmagier dürfte nicht in der Lage sein, das Geschriebene zu lesen, denn der Text ist in arkaner Sprache geschrieben worden.*z.H. Djironnyma
Spiritus Rektor der Träger des Feuers
Kumdah, Gobaith
Die Stadt Albar, den 23. Siros im Jahr 38
Lieber Djironnyma,
seit vier Jahren bereise ich nun Illarion, doch ich muss gestehen, dass mich selten ein Land zugleich so fasziniert und abgestoßen hat wie Albar. Ihr wisst, dass mein Erzeuger von hier stammt, auch wenn ich ihn nie getroffen habe, so weiß ich dies doch. Vielleicht ist dies der Grund, warum ich mir Albar für das Ende meiner Rundreise aufhob, ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Verzeiht, dass ich so selten schrieb, doch fällt es schwer in der Fremde zuverlässige Boten zu finden. Heute erst gelang es mir, am Hafen einen fahrenden Händler ausfindig zu machen, der ohnehin nach Gobaith segelt und mir ehrlich genug schien, meinen Brief auch wirklich zu überbringen und nicht an Tanora weiterzureichen, wie ich es bei manchem seiner Zunftbrüder befürchten musste.
Nachdem ich die Stadt Kjelt verlassen hatte (hat mein Brief von dort Euch erreicht? Ich kann es nur hoffen...), reiste ich nordwestlich durch die Eiswüsten des Kontinents, von Dorf zu Dorf. Die Reise war nicht ungefährlich, und manch einer bedachte mich mit schrägen Blicken und hin und wieder auch mit pöbelnden Worten, da er meiner kleineren Gestalt gewahr wurde. Doch Norodaj beeindruckt man am meisten mit Stärke und Ehrlichkeit, wie Ihr es mir sagtet, und so sah ich meinen Gegenübern stets geradewegs in die Augen, erklärte fest was mein Begehr war und liess mich auch von noch so grimmigen Zeitgenossen nicht einschüchtern. Mir schlug das Herz manches Mal bis zum Hals, doch zum Glück merkten meine Gesprächspartner dies nicht.
Ich erreichte Karras nach einem Monat Reise, und verweilte dort für drei weitere Monde. Es ist eine ausgesprochen schöne, beeindruckende Stadt, herrlich und kalt zugleich. Doch Ihr seid weit gereist und habt sie gesehen, sicher könnt Ihr Euch vorstellen, welchen Eindruck Karras auf mich machte, der ich von der albarischen Grenze stamme und niemals zuvor Eiswüsten in diesem Ausmaß gesehen hatte, und noch viel weniger Eisbären!
Meine Reise war lang und führte mich zu manch sonderbarer Begegnung - nicht zuletzt mit dem sturen, geheimnistuerischen Volk der Zwerge, die mich sehr an die Begegnungen mit Zwergen auf Gobaith erinnerten, aber weniger tolerant Außenseitern gegenüber waren -, ehe ich die Steppen der Serinjah erreichte. Die Sonne brannte heiß hernieder, doch die schier endlose Weite begeisterte mich hier ebenso wie in den Eiswüsten. Die Serinjah sind sonderbar scheu Außenseitern gegenüber, aber sie sprachen nichtsdestotrotz mit mir, soweit wir einander verstanden, nachdem ihnen klar wurde dass ich keine Gefahr darstellte.
Ein noch größeres Problem als die Serinjah stellten die Völker der Elfen dar, die sich mit mir noch widerstrebender trafen. Doch anders als die Serinjah zeigten die Elfen mir gegenüber weitaus mehr Aufgeschlossenheit, nachdem wir uns aneinander gewöhnt hatten. Ich verbrachte neun Monate in einer kleinen, abgelegenen Elfensiedlung, ehe ich mich wieder nach Osten aufmachte.
Meine Reise galt der Wissensfindung, aber auch der Selbstfindung. Es klingt sicher sonderbar, denn wer hätte gedacht, dass man einen Teil davon in einem Dorf voller Halblinge betreiben kann? Sicher, man findet in Berrybrook weder Gelehrte noch Magier zuhauf, solcherlei Gesellen sind dort eher dünn gesäht. Auch weit Gereiste und Weise findet man hier kaum, doch die Halblinge haben eine ganz eigene Form der Weisheit, der Überlieferung. Uns Langbeinern mögen sie oft albern erscheinen, doch es sind treue Seelen und nach der Reserviertheit der Elfen tat es sehr gut, zwanglos mit einer Gruppe Kleinwüchsiger beisammenzusitzen, Geschichten von meinen Reisen zu erzählen und Kuchen zu essen.
Gynk, muss ich gestehen, reizte mich keineswegs - doch ich kann mich kaum als weit gereist bezeichnen, wenn ich einen Bogen um eine der größten Menschennationen der Welt mache! So führte mich mein Weg also in die Sümpfe, hinein in die Abgründe menschlicher Städte. Selten habe ich soviel Korruption und zwielichtiges Gesindel getroffen, doch ich hatte inzwischen gelernt, auf mich achtzugeben und ging den größten Schwierigkeiten recht erfolgreich aus dem Wege. Nun kann ich mit bestem Wissen und Gewissen sagen, dass ich Gynk gesehen habe und keinen großen Drang verspüre, je wieder dorthin zu reisen.
Wirklich gespannt und voller Vorfreude war ich auf die Menschen aus Salkamar, die mich keineswegs enttäuschten. Hier fand ich Anstellung in einer Schule für Gelehrte in Mitsobar, direkt neben einem Bardeninstitut. Ich half in der Bibliothek aus und las im Laufe der letzten anderthalb Jahre wohl mehr Bücher, als ich mir je zu erhoffen gewagt hätte. Soviel Wissen, soviel Toleranz anderen Völkern gegenüber... ich glaube wirklich, dass das Volk von Salkamar einen guten Weg beschritten hat, von dem die anderen Menschenvölker sicher profitieren würden!
Nun erst, vor genau zwei Monden, fasste ich mir ein Herz und setzte meine Reise nach Albar fort. Fast vier Jahre war ich diesem Land aus dem Weg gegangen, doch wie ich schon zu Beginn schrieb, es ist ein Teil von mir - auch wenn ich das nur schwer akzeptieren mag.
Welch seltsames Land! Die Mischung aus Intoleranz, Dummheit und Selbstgefälligkeit mit Ehre, Stolz und Glauben ist so erstaunlich und bewundernswert wie abstoßend. Ich habe das Leid der Landbevölkerung gesehen, kleinliche Zwiste unter Landadeligen, die ihre Bauern gegeneinander in die Schlacht führen und erst Ruhe geben, wenn einer von ihnen zu viele Leibeigene einzubüssen droht; ich habe die Städte gesehen, voller Pomp und Glorie, voller Ungleichheit und Unfreiheit. Ich habe gesehen, wie andere Völker und vor allem andere Rassen behandelt werden; ich selbst gab mich zwar als Albarer aus - doch sah man mir meine nordische Herkunft wohl zu sehr an, denn manch ein Wirt verschloss mir sein Haus oder gab mir nur zweitklassige Zimmer für horrende Summen. Und doch - das Volk Albars hat eine innere Stärke, eine Größe, und vor allem eine Disziplin, wie man sie sonst nirgendwo findet. Ich kann sie weder lieben noch hassen, ich - bemitleide sie und bewundere sie zugleich.
Ich habe Einlass in eine magische Akademie in Ann-Korr erhalten, morgen mache ich mich dorthin auf den Weg, und werde dort noch etwas über einen Monat bleiben, um zu lernen und zu lesen. Danach habe ich bereits eine Überfahrt nach Gobaith gebucht, so dass Ihr mein Kommen für Ende Eldas erwarten könnt.
Ich hoffe Euch und den übrigen Trägern des Feuers geht es gut, leider hört man hier auf dem Festland keinerlei Neuigkeiten von einer Insel wie Gobaith. Ich bin gespannt, ob ich alles sehr verändert finden werde, wenn ich heimkehre - und ob Ihr mich noch erkennen werdet. Ich bin ein Stück in die Höhe geschoßen, und der Tatsache zu Folge, dass ich vor einiger Zeit einen Satz neuer Hemden brauchte, lässt sich wohl entnehmen, dass ich auch in die Breite gegangen bin.
Auf bald, Meister, ich freue mich bereits nach Hause zu kommen; denn so aufregend und erleuchtend meine Reise auch war und noch immer ist, so sehr vermisse ich Kumdah, meine Freunde, und vor allem Euch.
Liebende Grüße von
Eurem Schüler
~Tyl Reinayor~