Stille

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Rhianna Morgan
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Stille

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((Closed rp. Fortsetzung kommt sehr bald. Keine Bange, lohnt sich zu lesen für alle die den Barden Alan unterschätzen, ich wollte euch das ersparen, es is wie ein übles Buch. Aber bitte, hier habt ihr. Have fun.))

Alan starrte trübe in die Wasser hinaus die der See Adrons vor den Mauern Troll’s Banes dunkeln ließ während die Nacht sich herabsenkte. Gegen eine hochtalentierte junge Kollegin dumm dazustehen machte ihm sonderbarerweise kaum etwas aus, selber keinerlei Ruhm für seine Heimstätte zu bringen konnte er verschmerzen. Nur dass dieser jungen Künstlerin solches Unrecht widerfahren war ließ ihm keine Ruhe. Er hoffte die Tatsache dass er wegen ihr, und wirklich nur für sie gesungen hatte, obschon er dem Verhalten der Zwerge nach das Lied lieber verweigert hätte, war hoffentlich genug Ehrerbietung. Besseres war ihm in der Aufregung nicht eingefallen.

Noch mehr als dieser leidige Vorfall beschäftigten ihn Pellandrias böse Verleumdungen viel mehr. Sie und seine eigenen Worte hatten Erinnerungen wachgerufen die ihn mehr schmerzten als ihre spitze Zunge und ihr einfallsloses Gestammel hirnloser Beleidigungen ihn hätten berühren können. Auch dass seine varshikarischen Freunde mehr zu der Magierin hielten als zu ihm, ihrem Eidbruder, der sich für jeden von ihnen hätte vierteilen lassen auch wenn ihn allein der Gedanke schüttelte war ein innerer Schmerz den er fast nicht ertrug. Er hätte schreien mögen, aber ein fast körperlicher Zwang schloss seine Lippen wie Leim und erstarrte seine Zunge.

„Nie ein Schwert in der Hand gehalten…“ – „… hielt bereits Schwerter deren Klingen voller Blut waren, und es war nicht das meine… nicht das meine… nicht…“

Die Stimmen hallten in seinem Kopf, und wie ein Besessener krallte er seine Finger in seine Schläfen, senkte den Kopf, schüttelte ihn um sie abzuschütteln, ab zu rütteln. Ein unmenschlicher Laut entfuhr ihm in der eisigen Winternacht während er im Schnee kauerte, fern aller andern Wesen. Niemand konnte ihn hören. Sein Geist driftete ab, ungewollt, es riss ihn zurück zu Orten, Zeiten, die er zu lange weggesperrt hatte, zu Personen die er liebte und die er hasste. Es riss ihn mitten hinein in das Grauen jenes Morgens und er hatte nicht länger die Kraft diesem Sog der Götter und Erinnerungen zu widerstehen. Jede Tat und jedes Verbrechen fordert seinen Tribut. Und seine Sünde gegen Sirani und Oldra war bei weitem zu mächtig als dass die Göttinnen ihm hätten vergeben können.
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Rhianna Morgan
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Der Winter des Jahres 21 schnitt eisig über die Fluren der albarischen Nordgrenze. Die Mauer erstreckte sich über viele Meilen durch die Wildnis, von Ost nach West, beinahe linear zerschnitt sie das Land der Barbaren und trennte dessen südlichsten Streifen vom eigentlichen Territorium. Albarische Krieger patroulierten ohne Unterlass, das Grenzland nach Norden hin bewachend. Kein Nordmann ließ sich im Nebel blicken, und die inneren Zwiste der Stämme waren ein besserer Schutz als jeder Wall und jeder Schild, den die Albarer hätten errichten können.
Schon längst galten die Dörfer hinter dem Wall als ungefährliche Versorgungsquelle für die kleine Armee, die sich in verschiedenen Trupps entlang der Nordgrenze verteilt hatte. Zehn bis zwanzig Mann wurden von ein oder zwei Rittern angeführt, oder von einem verdienten Offizier. In den Städten des südlicheren Albars galten diese Männer als Helden, als glorreiche Sieger gegen die wilden Barbaren. Hier oben wussten die Krieger längst dass es nicht ihre Waffenstärke oder ihr Mut war, der sie vor dem Tod und Albar vor der Niederlage bewahrte, sondern der innere Streit der Norodaj. Sobald der gemeinsame Feind die Clans geeint hätte, war der Untergang der albarischen Truppen unabwendbar.

Der Tag begann mit Nebel und Kälte, wie die meisten Tage hier oben. Ein kleiner Reitertrupp suchte sich seinen Weg durch das wilde Grenzland südlich des Walls, der Führer voraus und zwei hochgewachsene Gestalten auf wertvollen Pferden hinter ihm.
Ohne Vorwarnung knallte der Schlagbaum in die Astgabel, versteckt im Gebüsch hatte man sie nicht sehen können. Die drei Reiter hatten ihre Pferde bewundernswert gut unter Kontrolle, und keines von ihnen brach aus, sondern sie hielten nebeneinander, während die Hände der Männer zu ihren Schwertern wanderten.
Ein Soldat in albarischer Rüstung betrag den Weg, hinter dem Schlagbaum. „Halt! Wer da?“ Der dritte Reiter trieb sein Tier direkt an die Absperrung, was die andern beiden bereitwillig zuließen, sie wichen sogar ein wenig zurück, wie um ihren Respekt vor seinem Wort zu zeigen. Er schlug die blaue Kapuze seines langen Mantels zurück, und ein Gesicht kam zum Vorschein, vor dem sogar der hartgesottene Wachposten die Augen weiten musste. „Mein Name ist Gorim von Bragona, Ritter von Albar. Dies sind mein Führer und mein Knappe. Dein Herr hat nach mir geschickt, um eure Reihen zu verstärken. Und du kannst deinen Leuten nun sagen sie sollen ihre Bögen weglegen. Die werden sie nicht brauchen.“
Der Sprecher war vielleicht sechzehn, siebzehn Jahre alt, aber bereits ein Mann, nicht nur seiner Sprechgewalt nach, sondern auch mit Körper und Geist. Das früher wohl einmal hübsche Gesicht wurde von einer langen, roten Narbe zerfressen, die das rechte Augenlid teilte und die Nase zu spalten schien, um ihr Ende erst unterhalb seines Wangenknochens zu finden. Der Hieb der sie hervorgebracht hatte musste entsetzlich gewesen sein.
Der Wachposten nickte und hob einen Arm nach oben. Sofort erklang aus dem Astwerk über den Köpfen der Reiter ein Rascheln und Klackern, wie wenn Pfeile wieder in Köcher zurückgesteckt werden. „Er hat in der Tat gesagt Ihr würdet hier durchkommen, Sir von Bragona. Ich gebe euch meinen besten Führer mit, damit Ihr das Lager findet.“ Seine Ehrerbietigkeit war echt, der junge Mann musste entweder der Sohn eines sehr berühmten Adligen oder bereits in jungen Jahren ein in Militärkreisen geschätzter Krieger sein. Gorim nickte ihm zu und zog einen Beutel hervor, diesen zu seinem Waldläufer hinüberwerfend. „Hier hast du, das Pferd kannst du hier lassen.“ Der Führer fing den Beutel und sprang ab, das Pferd an seinen Nachfolger übergebend. Schon nach kürzester Zeit war er trottend hinter der letzten Biegung verschwunden.

Stille unterbrochen von dumpfen Stampfen der Hufe auf Moos begleitete ihren Ritt, weiter nach Norden. Endlich lichtete sich der Wald, und der Pfad auf dem sie sich befanden wurde zur Lichtung. Zelte standen im Kreis und ein weiterer Pfad führte auf der anderen Seite zurück in die Wildnis. Der Führer stieg wortlos ab und ging hinüber in das größte Zelt, wo er stramme Haltung annahm und den Ritter von Bragona anmeldete. „Du kannst wegtreten“ befahl eine herrische Stimme innen im Zelt.
Die beiden übrig bleibenden Männer betraten das Zelt des Kommandanten leicht gebückt, richteten sich aber drinnen sofort wieder auf. Der Knappe blieb wie es sich gehörte hinter seinem Herrn zurück, schlug nun aber auch seine Kapuze zurück, so dass sein neuer Anführer sein Gesicht erkennen konnte.
Der Mann der auf sie wartete mochte die sechsundzwanzig Jahre überschritten haben, sein rötlicher Bart bedeckte eine Narbe an seinem Kinn nur spärlich. Stechend blaue Augen musterten die Neuankömmlinge. Vor allem auf dem Knappen verweilten sie einen Augenblick, um dann wieder zu dem Ritter zurückzukehren.
„Wie ist der Name Eures Knappen, Sir von Bragona?“ – „Alan, Mylord, Alan Dantes.“ Der Kommandant verengte kurz die Augen und nickte dann. Seine Reaktion war aber auch nicht überraschend. Der Knappe war in seinen Zügen dem Ritter wirklich überraschend ähnlich, von der Narbe einmal abgesehen. Wer sie zuerst sah musste sie für Brüder halten. Die gleichen grauen Augen, das gleiche weiche, braune Haar, und doch waren sie auf den zweiten Blick unterschiedlicher als es bei Geschwistern der Fall zu sein pflegt. Wo Alans Mimik weich und bewegt war, und seine Augen fröhlich glitzerten, hatte sein Herr eine stoische Maske aufgesetzt. Die Augen verrieten nichts, ebenso wenig wie sein Gesichtsausdruck. Nur wenn er sprach fiel auf, dass die eine Hälfte des Gesichtes wie gelähmt steif blieb. Vielleicht bemühte er sich deshalb darum, so wenig Emotion wie möglich zu zeigen.
„Ihr werdet den Platz des Ritters von Siebendorn einnehmen, Sir von Bragona. Er kam bei einem Überfall der Wilden ums Leben, daher beantragte ich Eure Versetzung hierher. Ich hörte von Eurem Ausbilder, Ihr macht selbst dem Namen Eures Vaters noch Ehre. Wir werden sehen ob er mir zu viel versprochen hatte. Abtreten.“

Die beiden bezogen das leer gewordene Zelt direkt neben dem des Kommandanten, ohne viele Worte zu sprechen. Alans Blicke musterten offen jeden Mann, der sie passierte, und vor dem neuen Stellvertreter des Kommandanten salutierte, Gorim dagegen starrte sie kurz an, und nickte dann. Keine Regung verriet was er dachte, und er befehligte seinen Knappen mit Handzeichen oder auch Gedanken, wie es manchmal schien. Es war wohl nicht seine Gewohnheit viele Worte zu machen.

So verstrichen die Tage. Die beiden Neuankömmlinge dienten an vorderster Front, ohne dass sich etwas Nennenswertes ereignet hätte. Sie trainierten in der nebligen Kühle, aßen im Zelt des Kommandanten und schliefen, wenn sie die Nachtwache beaufsichtigt hatten, in den frühen Morgenstunden. Doch es sollte nicht so ruhig bleiben.
Alan musterte die Wildnis hinter dem Wall wie immer mit leichtem Grausen, die Männer erzählten den Neuankömmlingen gerne Geschichten was die Norodaj so mit ihren Opfern anstellten, und einige der Bilder die sie heraufbeschworen blieben in seinem Gedächtnis haften. Er hatte inzwischen einige der unterworfenen Dörfer mit aufgesucht, weil sie neue Vorräte brauchten und nur dort beziehen konnten. In seinen Augen waren die zahmeren Wilden kein besonders blutrünstiges Volk, sondern vielmehr eine gebrochene, einst stolze Rasse. Sie brachten willig alles was verlangt wurde, kein Wort wurde gesprochen, keine Drohung gemurmelt. Sie senkten die Augen und sahen ihre Besatzer nicht mal an. Keiner von ihnen schien ihm ein ernst zu nehmender Gegner zu sein.

Dieser Morgen lag kalt auf der Wildnis, und wie immer sah Alan nichts als Heidekraut während er nach dort draußen starrte, wo angeblich Feinde kommen sollten. Er und Gorim unterhielten sich leise, während sie die triste Fläche beobachteten. Später sollte er sich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern, denn alles geschah sehr schnell. Gorim unterbrach einen seiner Sätze und hob die Hand, zwei Finger als Warnung ausgestreckt. Die sechs Mann die mit ihnen Wache hatten reagierten viel angemessener als er selber. Sofort gingen sie in die Hocke und schielten durch die Schießscharten der Palisade nach Feinden. Alan tat es ihnen eilig gleich, aber er konnte noch immer nichts entdecken, und wollte gerade fragen was los sein, als ein schriller Ruf ihn alarmierte. Der Wachposten der hinterm Wall auf einem provisorischen Glockenturm stand, hämmerte von selber mit seinem Schwertknauf seinen Warnruf zum Lager, Gorim registrierte es nur mit einem Augenflackern und deutete durch die Schießscharte die er mit Alan teilte. Und da sah sie auch der Knappe deutlich: Zehn oder fünfzehn Gestalten rannten so eilig sie konnten auf den Wall zu. Gorim sagte nur leise: „Anlegen.“ Die Schützen taten fließend und ruhig was er ihnen sagte, Alan musste sich erst in Erinnerung rufen dass er selber keinen Bogen dabei hatte.
„Sucht eure Ziele. Wartet.“ Die Schützen verharrten wo sie waren, die Bögen gespannt und ihr Ziel genau im Visier. Der Befehl kam überraschend spät. “Schießen.” Pfeile surrten durch die Dämmerung, und fanden ihre Ziele. Sechs der Angreifer stürzten, zwei von ihnen sofort tot, der Rest nur leicht verwundet. „Anlegen. Zielen. Schießen.”
Und wieder fielen einige Angreifer. Gorim zog sein Schwert, und seinen Parierdolch, und erhob sich, von der Palisade etwa zwei Meter in die Tiefe springend. Seine Untergebenen folgten ihm ohne Ausnahme, und er sagte wieder völlig ruhig: „Habt keine Furcht. Sie sind her gerannt wie Bauerntölpel, und wie solche werden wir sie heimschicken, mit blutigen Nasen, wenn es denn sein muss!“
Alan hörte nichts davon, er stand direkt neben seinem Bruder und starrte den Angreifern entgegen. Als würde die Zeit auf einmal langsamer laufen kamen sie immer näher, doch er konnte nicht reagieren… bekam seinen Arm nicht gehoben… Das Schwert des Ritters fing den Hieb auf, der seinem Schädel gegolten hatte. „Wach auf, du Träumer!“ schrie Gorim ihn von der Seite an, und er atmete tief durch, vergaß wo er war. Er war wieder auf dem Trainingsplatz mit Gorim, und sie kämpften gegen eine anrollende Masse. Wie im Traum wirbelte er seine Klinge durch die Luft, zertrennte Haut, Fleisch, und Knochen, schmetterte die Angreifer weg als habe er es schon immer so getan. Erst als seine Leute ihn von hinten festhielten, als alle Gegner blutend am Boden lagen, kam er wieder zu sich. Er bemerkte erst jetzt dass er geschrien hatte, den ganzen Kampf über. „Is ja gut, Kleiner… is‘ vorbei, der Kampf!” Einer der Männer klopfte ihm auf den Rücken und zog unter Gorims eisigem Blick den Kopf ein. Aber ein weiterer Soldat ließ sich davon nicht abhalten, ihn ebenfalls zu beglückwünschen. „Für den Neuling der du noch bist war das wirklich gut, Junge. Mach weiter so, dann können uns die ganzen verflixten Barbaren gar nix mehr!“ Alans Blick wanderte zu seiner Klinge, die ihm rot entgegen schimmerte wie ein dämonisches Juwel. Erst jetzt begriff er was er getan hatte, erst jetzt erkannte er die Gesichter seiner Opfer, ihre verdrehten Leiber. Im Kampf selber hatte er nicht wahrnehmen können was er anrichten konnte… aber er träumte dafür in dieser und jeder folgenden Nacht davon. Selbst nachdem das Töten zur Selbstverständlichkeit geworden war konnte er den Blick des jungen Norodaj zu seinen Füssen nicht vergessen. Dieser war kaum älter als er selber. Und dennoch… war er tot, und Alan lebte.
Nur in Alans Träumen wurden seine Augen wieder zu hellen Lichtern, die den Albarianer verfolgten.
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Rhianna Morgan
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Die Tage seit dem Iromoromschen Bardenwettstreit waren vergangen wie im Flug, aber nicht im positiven Sinne. Der Flug eines Dämons ist niemals so friedlich wie der des Falken.
Finsternis füllte das Herz des Barden und Schwermut hielt ihn so fest gepackt dass er kaum den Mut fand in die spiegelnden Wasser eines Sees zu blicken.
Es gab Momente in diesen Tagen, da wusste er nicht was er tat oder wer er war, und wenn er sich dann wiederfand, Kreise in den Schnee zeichnend oder mit einem Messer in die Rinde eines Baumes ritzend, dann erfasste ihn ein Grauen vor sich selber wie er es nie verspürt hatte.
Er fiel in traumlosen, unruhigen, fast fiebrigen Schlaf, der ihn niemals erquickte. Er wanderte umher und meinte Untote zu sehen. Er konnte weder singen, noch lachen, noch weinen, als wäre seine Seele von ihm genommen. Stundenlang brütete er immer über der gleichen Erinnerung, aber in dem Augenblick wo es endlich vorbei war, wo seine Klinge sich karmesinrot färbte vom Blut der Barbaren, begann das Schlachten von neuem. Voll Entsetzen verspürte er wieder und wieder die erschütternde Freude, die Begeisterung die ihn erfasste und alles andere ausperrte. Dieser Mann, dieser Mörder war nicht er! Und doch, das war er, er würde diese Schatten niemals loswerden.
In einem seiner lichten Momente zwang er sich einen Brief zu schreiben, und die Wanderung anzutreten um ihn abzugeben. Er wurde eingelassen, während der Geistliche las.

Ehrwürdiger Vater,

Mein Name ist Alan Dowland. Ich bin nichts weiter als ein einfacher Barde. Meine Not in dieser Stunde ist so groß dass ich sie Euch kaum auf diesem Stück Pergament mitteilen kann, das jeder andere lesen könnte. Meine Vergangenheit verfolgt mich, die Geister meiner Vergangenheit nehmen Siranis Liebe und Eldans Weisheit von mir und lassen mir nichts als Verzweiflung und Wahnsinn. Ich weiß dass es zu nichts führen kann, sich zu erinnern, und dass es den Mann zerstören wird, der ich bin, aber dennoch sehne ich mir nichts so sehr herbei wie ebenjene Zerstörung.
Meine Seele wird durch jeden Ton, jedes einzelne Wort das ich höre gepeinigt.
Ich wünschte ich wäre taub und stumm. Ich wünschte ich vergässe wer ich bin, und warum ich hier bin, und dennoch wünsche ich mir meine Sinne wieder kontrollieren zu können.
Es gibt nur einen Weg der mir helfen und jene wütende Göttin vielleicht besänftigen wird, die in meinem Herzen tobt. Ich muss Ihr das opfern, was mir am teuersten ist. Ich werde ein Schweigegelübde ablegen, meine Laute, meine Harfe, meine Flöte fortsperren. Ich werde Sirani meine Musik opfern und damit meine ganze Seele, um sie um Verzeihung bitten zu können. Bis sie mir Vergebung gewährt werde ich nicht sprechen, noch singen, sondern schweigend beten.
Kann Euer Kloster mir diese überwältigende Gnade gewähren und mir eine Zelle anbieten, wo ich der stillen Strafe, die ich verdiene und mir wünsche zu empfangen, zuteil werden kann?

Alan Dowland.


Ein Gespräch folgte. Der Expletii des Eldan Klosters war ein weiser, ruhiger Mann, und gewährte Alan schließlich was dieser sich erbeten hatte. Er versprach zudem, niemandem zu erzählen wo sich der einstmals berühmte Barde aufhielt, um dessen Suche nach Eldans Weisheit und Siranis Liebe nicht zu gefährden. Die Suche nach seinem Weg begann in der kalten, düsteren und vor allem einsamen Zelle, in der er Tag und Nacht das Meer rauschen hörte. Dies war das einzige Geräusch das durch die Stille zu ihm drang, aber mit der Zeit hörte er es nicht mehr. Die Stille ist mächtig. Erst verstärkt sie alles das nicht zu ihr passt, gibt uns Geräusche die wir sonst nie erahnen würden. Und dann nimmt sie sich alles, und wir fallen ins Bodenlose, ohne Töne, Wörter, sogar ohne Bilder.
Doch ehe er vergessen konnte, kehrten seine Erinnerungen zu ihm zurück und ließen nicht mehr von ihm ab. Jede Ablenkung von ihnen hatte er selber ausgesperrt. Und die Dämonen des Krieges hießen seinen schutzlosen Geist nur zu gierig willkommen...
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Rhianna Morgan
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Während Gorim unverändert weiterhin seine Pflicht tat und seine Gefühle hinter seiner gleichgültigen, harten Maske verbarg, schlugen Alan das nasskalte Wetter und die nicht enden wollenden, aufreibenden Scharmützel aufs Gemüt. Nacht für Nacht standen sie Wache, und nicht selten fielen die Norodaj aus dem Norden ein. Statt wie beim ersten Mal mit Panik zu reagieren, bemächtigte sich seiner eine seelische Taubheit und eine grausame Routine bei dem was er tun musste.
Erst wenn er auf sein Lager fiel und stumpf an die Zeltplane starrte tauchten die Gesichter wieder vor seinem inneren Auge auf und hinderten ihn so lange am Einschlafen, bis er vor Erschöpfung das Bewusstsein verlor. Gerne hätte er seine Laute dabeigehabt, um eins der Lieder zu spielen die seine Mutter ihn lehrte in helleren Tagen, an freundlicheren Orten, um sich auf jene lichteren Stunden zu besinnen. Doch da das Lautenspiel unmännlich war wie sein Vater sagte, zu schöngeistig, hatte er sie nicht mitgenommen. Die Gefahr dass sie beschädigt würde war ohnehin zu groß. Zwar hielt der Vater seine Geliebte, Alans Mutter, keineswegs kurz für die damaligen Verhältnisse, aber dennoch wollte Alan ihr das Geld nicht streitig machen, das er als schmutzig und widerlich empfand. Hurengeld, auch wenn er seine Mutter nie als solche gesehen hatte. Sie erhörte nur seinen Vater, sie liebte ihn, und sogar er liebte sie auf seine raue, unnahbare Weise wider. Ihren Geist, ihren Witz, ihre schöne Gestalt und ihre schöne Stimme, von der er selber so viel mitbekommen hatte. Sie übertraf Gorims Mutter in vielerlei Hinsicht, aber die jungen Männer hatten beide viele Züge ihres Vaters geerbt.

Als würden die Götter ihm zürnen hielten die Träume an. Lange überlegte er ob er Gorim fragen sollte was dieser empfand, ob es seinem Bruder hinter dessen Maske am Ende ähnlich erging. Es sollte noch einige Zeit vergehen bis er diesen Schritt wagte.
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Rhianna Morgan
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Truppenverschiebungen sorgten dafür, dass ihr Lager aufgelöst wurde, und Ritter und Knappe mussten sich auf den langen Weg nach Osten machen, entlang der Mauer. Tag um Tag schliefen sie in neuen Lagern, bei neuen Anführern, nur um in den frühen Stunden weiterzueilen. Siebzehn Tage vergingen auf diese Weise, aber Alan war dankbar für die Strapazen, dankbar für die Eile die ihn ablenkten, und dankbar für die Möglichkeit in einem der Lager genug Pergament für zwei Briefe erstehen zu können. Nun endlich konnte er Mutter und Halbschwester beruhigen, die seinetwegen und im Falle der Schwester auch um Gorims Willen besorgt sein mussten. Dass sein Bruder nicht mehr nach Hause schrieb als in den Meldungen an den Vater unumgänglich nötig war ihm klar.
Die Nacht brachte ihm endlich die Zeit und Ruhe die er benötigte um die Feder auf das Pergament zu setzen und in der eleganten, gleichmäßigen Schrift, die ihm sein Hauslehrer beigebracht hatte, seinen Gefühlen Ausdruck zu geben.


Liebste Mutter,

Ich bin so glücklich Euch endlich davon in Kenntnis setzen zu können, wie es mir ergeht. Wir befinden uns dieser Tage auf einem langen Marsch in östlichere Gefilde, entlang der Mauer, um an der Küste einem neuen Lager zugeteilt zu werden. Ich bin gesund, ebenso wie mein Herr und Bruder. Wir beide hatten bislang das Glück nicht weiter verwundet zu werden, und kamen auch nur in eher harmlose Scharmützel. Ich hoffe bei Euch ist alles beim Alten und Ihr seid wohlauf.
Ich zähle nun als ganz passabler Krieger, auch wenn ich wünschte es wäre anders. Ich weiß, es klingt undankbar, und ich bitte es meinem Herrn und Vater nicht zu sagen, da ich Ihn nicht kränken möchte. Ich weiß, unter seinen Söhnen war ich stets der am wenigsten zufriedenstellende. Ich weiß auch, dass ich dies nicht ändern kann. Ich bitte Euch, Mutter, bekümmert Euch deswegen nicht. Wir werden diese Zeit der Trennung überstehen und wieder zusammen sein dürfen, so die Götter es wollen.
Die Nordleute sind seltsame Menschen, anders als wir. Sie wirken härter und rauer, aber gestern hörte ich ein Norodaj-Mädchen ein Lied singen, in ihrer fremden Sprache, und mir ging das Herz auf ohne dass ich sagen könnte es sei ein fröhliches Lied gewesen. Leider konnte ich sie nicht fragen was sei besang, sie hätte wohl ohnehin mir, einem Besatzer, nicht geantwortet.
Leider haben die Norodaj nicht nur Lieder, jenseits der Mauer haben sie auch Schwerter und Äxte, und sie benutzen diese. Unser herrliches Land muss alle Kräfte aufbieten, so scheint es, um sich ihrer zu erwehren. Ich bete dass sie die Sinnlosigkeit ihres Aufstandes bald einsehen und nicht länger Albar das streitig machen, was es für sich beansprucht. Unser Anführer sagte mir, dem Fortschritt der Kultur könne man ebenso wenig Einhalt gebieten wie der Faust unseres Königs. So kraftvoll und todesmutig sie sich uns auch entgegenstellen, sie werden uns nie besiegen können. Meine Sorge, die ich Euch ebenfalls bitte für Euch zu behalten, ist, dass auch wir sie vielleicht nie ganz besiegen können. Die Norodaj diesseits der Mauer scheinen mir da zu widersprechen, sie sind gebrochene Gestalten, schweigsam, ein trauriger Überrest eines einst stolzen Volkes. Aber das Lied das ich gestern vernahm, auch wenn mir der Sinn der Worte nicht gewahr wurde, straft den äußeren Anschein Lügen. Es schlummert etwas in diesen Menschen, ein Rest des alten Feuers. Ich bete dass es nie erwachen möge, sonst mögen uns die Götter gnädig sein, denn sie werden es nicht sein.

Das Pergament ist bald zu Ende, und ich muss hier Schluss machen. Mein Herz und meine Seele sind bei Euch, Mutter, nicht bei meiner blutigen Pflicht.

Mögen die Götter ihre schützenden Hände über Euch ausbreiten,
Euer Sohn Alan Dantes.

Seufzend unterschrieb er auf dem letzten Fingerbreit des Pergaments. So kleine Schrift, aber dennoch hatte sie den Bogen allzu bald gefüllt. Er faltete das Pergament und wandte sich dem nächsten Bogen zu, als Gorim sich vom Lager aufrichtete. „An wen schreibst du da so viel?“ „Ich schrieb meiner Mutter… und werde nun noch unserer Schwester schreiben, wenn es dir recht ist.“ Von der Unterwürfigkeit die er nach außen hin vor dem Ritter zeigte war hier, in ihrem gemeinsamen Zelt, nichts mehr zu spüren. „Meinen Gruß dazu, Bruder.“ Sagte Gorim knapp, und Alan nickte dem Gleichaltrigen zu. „Ich werde dir den Brief zu lesen geben, dann kannst du sehen was ich ihr schreibe.“ Ein Nicken wurde ihm zuteil, dann griff sein Bruder nach dem Schwert und dem Schleifstein, um die Scharten aus der Klinge zu schleifen während er auf das Ergebnis der Schreibarbeit wartete.

Verehrte Mylady Rowena,
Liebste Schwester,

Wir vermissen dich hier oben in der Kälte, dein goldenes Lachen und deinen perlenden Gesang. Den ganzen Glanz den du ausstrahlst und mit dem du so leicht jede Gesellschaft erleuchtest.
Dennoch bin ich überaus froh dass du fern von all dem hier bist, in Sicherheit. Sorge dich nicht weiter, Gorim und ich sind wohlauf, und unverletzt. Täglich denke ich an dich und bete zu den Göttern dass es mir vergönnt sein mag dich wiederzusehen.
Gorim lässt dir seine herzlichsten Grüße ausrichten, auch er denkt oft an dich.
Ich beneide dich um die Gelegenheit so viel Lautenspiel einzuüben, ich selbst werde weit hinter dir zurückgeblieben sein wenn wir wiederkehren. Im Augenblick sind wir nicht mal in Gefahr in Kämpfe zu kommen, denn wir reisen eilig nach dem Osten um die letzte Mannschaft an der Küste zu unterstützen. Ich werde das Meer sehen, Rowena, das entschädigt für alle Entbehrungen und für den Schmerz, von dir getrennt zu sein. Ich weiß ja dass die Trennung nicht für immer sein kann.

Bragon mit dir auf allen Wegen,
Hochachtungsvoll,

Alan Dantes. Dein dich liebender Bruder.

Dieses Mal hatte er größer geschrieben, und sich sichtlich bemüht negative Formulierungen zu umgehen. Er reichte das Schreiben an Gorim, und dieser las es, an der Stelle mit den herzlichsten Grüßen ein leises Brummeln ausstoßend. Ob es zustimmend oder ablehnend war, hätte außer Alan wohl niemand sagen können.
„Wir müssen die Briefe nur noch einer Taube anvertrauen, die in die Stadt fliegt, sobald wir eine finden.“ Alan faltete auch diesen Bogen, und schrieb auf den einen „Geraldine Dantes“ und auf den andern „Rowena von Bragona“. „Shadow“ entgegnete Gorim wieder nur knapp, und pfiff leise in den Schatten. Am Kopfende des Bettes flatterte der schwarze Falke nervös mit den Flügeln und hüpfte dann zu seinem Herrn hinüber, raschelnd auf dessen Arm platznehmend. Und so flogen die beiden Botschaften pfeilschnell nach Süden, wo zwei sehr unterschiedliche, sehr schöne Frauen sehnsüchtig auf sie warteten.
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Meerrauschen und das Flackern der Kerzenflamme waren die einzigen Eindrücke die ihm blieben. Stetig das Geräusch von Wellen gegen die Klippen, und unregelmäßiges Aufflackern des kleinen Lichtes. Alans Kopf war gegen die Wand gelehnt und seine Augen geschlossen, von all dem Rummel weil angeblich das Kloster einstürzen sollte hatte ihn in seiner kleinen Hütte nichts berührt. Zwar hatte der Priester gewarnt dass es in den kalten, schlichten Raum Menschen ziehen könnte die das Depot aufsuchen wollten, aber Alan hatte bislang Glück gehabt und niemand hatte sein Schweigen belästigt.

In dieser Nacht lauschte er dem Wasser und dem Schlagen des eigenen Herzens gleichermaßen, bis die beiden Geräusche eins wurden, ein einziger, steter Rhythmus der seine Erinnerungen auslöschte um sie nur verstärkt wiederkehren zu lassen. Über die Lippen des Barden wollten sich Worte drängen, Verse und Reime, sie stiegen aus seinem Herzen so übermächtig auf, dass er sich ihrer kaum erwehren konnte.

Krampfhaft presste er die Handflächen auf die Schläfen, und ein eher tierisches Stöhnen erklang während er sich krümmte und sich seine Zähne in die längst geschwollene, heiße Zunge gruben. Nicht einmal der Geschmack des frischen Blutes konnte seine selbstzerstörerische Qual aufhalten. Zuckend und wimmernd fiel er vornüber, knapp an der Kerze vorbei, und warf den Kopf hin und her, schlug ihn gegen den steinernen Boden, wieder und wieder, als könne der wilde Schmerz die Worte auslöschen und vergessen machen, die Worte, die Lieder und alle Erinnerungen die ihn weiter quälen mochten.

Endlich erlöste ihn die Bewusstlosigkeit eines Übermüdeten, die seinen Anfall ablöste. Mit blutigem Schaum vor dem Mund blieb sein lebloser Körper auf den steinernen Fliesen liegen, gekrümmt und zitternd wie ein geschlagener Köter. Erst am Morgen kamen die Gedanken zurück in sein Bewusstsein und rissen ihn aus der barmherzigen Unwissenheit heraus.
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Wind in ihren Mänteln und salzige Seeluft auf den geröteten Gesichtern, so begrüßte sie das Meer. Sie vernahmen das Donnern der Brandung an die Klippen lang ehe sie sie endlich sehen konnten, als sie nämlich den Wald verließen der sich bis auf Sichtweite der Küste entgegenstreckte. Endlich befreit von der Dichte und Dunkelheit der Bäume, ließen die jungen Männer ihre Rosse mit lang hängenden Zügeln voranpreschen, denn die Mauer lag noch ein ganzes Stück nordwärts und sie beide sehnten sich nach einem unbeschwerten, flotten Ritt.
Innerhalb kürzester Zeit war aus ihrem entspannten Galopp ein Wettrennen geworden, durch fröhliche Zwischenrufe spornten sich die Halbbrüder gegenseitig an. Beide standen nun in den Steigbügeln, um die Tiere weitestmöglich zu entlasten und hatten sich um die Balance zu halten weit vornüber gebeugt. Doch ebenso unbeschwert sie hier ritten, so rasch hatte Gorim sein Pferd wieder voll unter Kontrolle und gezügelt, kaum dass der Pfeil in seinen Sattel eingeschlagen war, direkt über seinem Oberschenkel. Das Streitross bäumte sich wütend auf, als es so abrupt herumgerissen wurde, der junge Ritter aber hielt sich im Sattel und zog sein Schwert, sich nach dem Schützen umsehend.

Alan war nur wenig weiter geritten, kaum dass sein Bruder von seiner Seite verschwand, sah er sich unwillkürlich um, und obschon er etwas mehr Schwierigkeiten mit seinem Pferd hatte, brachte er es doch in einem weiten Bogen zur Wende und galoppierte zurück um an Gorims Seite zu halten. Ihre beiden grauen Augenpaare forschten nur äußerlich ruhig über den Waldrand, in Wahrheit waren die beiden jungen Männer deutlich beunruhigter.
„Ein Fehler so schnell zu reiten…“ murmelte Alan während auch er nach seiner Waffe griff. „Ein Fehler in unsere eigenen Leute zu vertrauen und davon auszugehen dass sie ihre Arbeit gut machen?“ Gorim hob leicht die Brauen. „Kein albarischer Pfeil.“ Alan warf einen kurzen Blick herüber und musste dann zustimmend nicken, insgeheim die Beobachtungsgabe seines Bruders bewundernd. Der Pfeil war von der Art, wie sie die Norodaj herstellten, kürzer und etwas dicker als albarische Pfeile, aber mindestens ebenso tödlich.

Die Stille wurde nur unterbrochen vom Schnauben ihrer Pferde, es flogen keine Pfeile mehr, und es drangen keine schreienden Krieger aus dem Unterholz um sich auf sie zu stürzen. Dennoch liefen Alan eisige Schauder über den Rücken, denn sie standen hier ungeschützt auf freiem Feld. Der Feind hätte sie jederzeit töten können. Warum tat er es nicht?

„Was nun?“ atemlos blickte er nach links zu Gorim. „Weiterreiten. Wenn sie uns in den Rücken fallen wollen, dann werden wir sie kriegen.“ Alan schluckte leicht, dachte dann aber an den harten Lederpanzer den er unter dem Mantel trug und hoffte einfach dass kein Pfeil ihn weit genug durchdringen mochte um ihn zu verletzen. Langsam wendeten sie die Pferde und folgten dem Saum des Waldes, nun aber dichter zu den Bäumen reitend. Dieses Mal trabten sie nur und ihre Augen forschten zwischen jeden Baum, versuchten jedes Gesträuch zu durchdringen. Dicht beisammen setzten sie die Tiere endlich wieder in Galopp, aber von dem unbeschwerten Reiten von zuvor war nichts mehr zu spüren als sie immer weiter nach Norden vordrangen, und auch über den Anblick des Meeres konnte sich Alan nicht mehr so recht freuen. Zu angespannt wartete er darauf dass noch etwas geschehen würde…
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Das Meer. Alan schreckte jäh auf und ihm wurde bewusst wo er kauerte, wieder vor der Kerzenflamme, die linke Hand erschreckend nah danach ausgestreckt. Über den Handrücken zackte eine rote Narbe.

Ein Mann näherte sich ihm, scheinbar freundlich, doch dann erkannte er was dieser Mann in der Hand hielt, erkannte den schlangenförmigen Dolch, erinnerte sich an den gynkheesischen Akzent als jener Mann das Schiff betreten hatte…

Unwirsch schüttelte er den Kopf und es gelang ihm wenigstens diese Erinnerung zu verscheuchen, wenngleich die Erinnerungen an seinen Bruder nicht so leicht zu besänftigen waren. An seinen Bruder, und an diesen Krieg, der sie gelernt hatte sich gegenseitig ihr Leben anzuvertrauen, komme was da wolle. Es hatte ihnen beiden viel Leid eingebracht, und Gorim das Leben gekostet.
Meerrauschen, das einzige Geräusch das neben seinem Herzschlag nicht aufhörte zu existieren, schwoll an und ab, ohne Pause. An und wieder ab. Alan wünschte sich er wäre taub, und hätte nicht nur geschworen stumm zu sein sondern sich die Zunge abgebissen. Es wollte ihm nicht gelingen, auch wenn sie seine Mundhöhle ausfüllte und ihn durch ihr pochendes Schwellen zu ersticken drohte. Vorsichtig tastete er mit zwei Fingern, reinigte den Mund von getrocknetem Blut und Schleim. Der Schmerz in seiner Zunge toste auf, aber er presste nur die Lider der Augen aufeinander und nahm letztlich die Finger aus dem Mund. Sie an seinem alten Mantel abwischend öffnete er wieder die Augen, ohne zu dem schmierigen Streifen auf dem Stoff hinüberzublicken. Stattdessen erhob er sich und lief die drei Schritte bis zur andern Seite des Raumes. Dort lehnte er die Stirn gegen das Gemäuer und starrte die Wand an, als würde der eintönige Anblick ihn von den Bildern vor seinem inneren Auge bewahren.
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Rhianna Morgan
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Die Enge in dem kleinen Raum drohte ihn zu ersticken, und immer dichter verwoben sich Erinnerungen mit Gegenwart, vermischte er Realität und Einbildung, den Überblick verlierend. Er wusste, so konnte es nicht mehr lange weitergehen – zu wenig von seinem alten Selbst war übrig und zu viel Wahnsinn vernebelte seinen Verstand. Er hatte Sirani und auch Eldan versprochen dass er sein Schweigegelübde halten würde, und er wusste welche Gefahr darin bestand seine alten Freunde wiederzusehen, seine Heimat zu besuchen.
Erinnerungen an gute Zeiten und an schöne Lieder, die Sehnsucht nach dem Klang von Musik. Allen diesen Dingen hatte er entsagt, und eigentlich waren es nicht sie die ihm am Herzen lagen, vielmehr musste er in seinen wachen Zwischenmomenten immer häufiger an Menschen denken die ihm etwas bedeuteten. Allen voran Sira. Menschen die ihn gebraucht hatten, die er gebraucht hatte. Die ihn vielleicht immer noch brauchten auch wenn er sie nicht um sich haben wollte. Siranis Pfad aber war nicht alle andern im Stich zu lassen und sich selbstsüchtig zu vergraben.
Ihnen vorzugaukeln dass es ihm gut ging, die Krankheit seiner Seele zu verheimlichen würde sehr schwer werden, er war ein miserabler Lügner. Aber er musste sich selber weiter foltern, er musste wissen wie es ihnen ging. Ob sie glücklich waren. Wenn er nur Varshikar sehen könnte, sehen könnte dass es noch stand und dort alles beim Alten war, könnte er wieder freier atmen und womöglich zu sich selber finden. Der Verrat seiner Freude tat noch immer weh, aber Siranis Weg war der der Liebe, und wenn man jemanden liebt kann man ihm auch verzeihen.
Er grübelte lange darüber, aber schließlich erhob er sich, öffnete die Tür seines selbstgewählten Gefängnisses und ging hinaus, in die Sonne, ins Licht, atmete tief durch. Schweigen war seine Welt geworden, jedes Geräusch klang auf neue Weise in seine Wahrnehmung, viel lauter als er es gewohnt war, und zugleich klarer und reiner. Er hob das Gesicht in die warmen, goldenen Strahlen, und verließ das Kloster ohne ein Wort oder eine Geste. Er war wie in einer anderen Welt, nahm die Wesen die ihm begegneten kaum wahr. Stattdessen ließ er die Welt in all ihrer Schönheit auf sich einwirken, die Wunder der Natur, von den milden südlichen Wiesen hinauf in die Berge Silberbrands und die heiße Wüste, bis er endlich die hellen Mauern Varshikars in der Ferne aufleuchten sah. Nun erst legte er die Kapuze über und senkte den Kopf derart dass man sein Gesicht im Halbschatten unmöglich erkennen konnte. Schweigend und unauffällig setzte er seinen Weg fort. Er konnte es nicht wissen, aber dieser Tag war der erste Siros.
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Rhianna Morgan
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Sie sollten nicht allzu weit kommen. Noch war das Lager nicht in Sichtweite, da zogen finstere Wolken so schnell auf, wie es nur in den Bergen und am Meer möglich ist. Die Brüder zogen ihre Kapuzen über die Köpfe und hielten sich wieder näher zum Waldrand, als auch schon die ersten schweren Tropfen fielen. Wind kam auf und brauste um sie her, die zu dünnen Umhänge teilend und somit ihren Schutz gegen die Kälte zu Nichte machend. Ein Blick genügte ihnen zur Verständigung, sie sprangen beide aus dem Sattel und zerrten ihre nervösen Reittiere unter die Bäume. Und da brach auch schon das Wetter los, es regnete so heftig dass man kaum mehr Luft von Wasser unterscheiden konnte. Innerhalb kürzester Zeit war es Alan nicht mehr möglich, bis zum Meer zu blicken. Er hielt sich eng an seinen Halbbruder und beobachtete unruhig das Dickicht in das sie sich gekauert hatten. Die Schützen befanden sich im gleichen Wald wie sie, und wenn die Angreifer ihnen gefolgt waren, wären die Brüder hier, zwischen den Bäumen, eine leichte Beute.

Gorim bemerkte Alans Blicke nicht nur, er nickte leicht und legte dann den Finger an die Lippen. Schweigend warteten sie, beide die Hand am Schwertgriff. Bereit jeden Augenblick aufzuspringen, und nicht einmal sicher ob es nötig sein würde. Unablässig wanderten ihre Augen über die Sträucher, aber bei dem lauten Trommeln von Tropfen auf Blätter waren ihre Sinne so gut wie nutzlos.

Sie hörten sie nicht kommen, Alans Nackenhaare sträubten sich dennoch.
„Wir werden beobachtet…“ raunte er und sein Bruder nickte ohne ein weiteres Wort. Langsam drehten sie sich, bis sie Rücken an Rücken kauerten, und zogen ihre Schwerter aus den Scheiden. Keiner wagte zu sprechen, sie lauerten vielmehr darauf dass die Schützen den Angriff eröffnen würden, um ihnen einen Punkt zum Angriff zu liefern.
„Lasst eure Waffen fallen! Beide!“ Gorim verengte die Augen, rührte sich aber nicht. Einzig seine Augen fixierten die Stelle, an der direkt vor ihm die Stimme einer Frau erschallt war. Ihr nordischer Akzent musste sofort auffallen, ebenso wie die Pfeilspitze, die sie mit gespanntem Langbogen auf seine Brust gerichtet hatte.

Alan wirbelte herum und starrte sie ebenso an wie sein Bruder, denn keiner von ihnen hatte bislang eine solche Norodaj zu Gesicht bekommen. Ihr Haar reichte nur bis zu den Schultern, entgegen der meisten Frauen des Nordens, die es länger trugen. Sie hatte es zu etlichen kleinen Zöpfen streng geflochten, und eine Bemalung oder Tätowierung umrahmte den rechten Rand ihres so jungen Gesichtes. Was sie aber wirklich von den anderen Frauen unterschied, die die Albarianer gesehen hatten, waren die Lederrüstung in der sie steckte, ihre Bewaffnung – Langbogen und eine verhältnismäßig kleine, runenverzierte Axt an ihrem Gürtel – und der wilde, unzähmbare Blick der in ihren Augen loderte. Wenn Alan an die unterwürfigen, scheuen Norodaj der Dörfer dachte, dann konnte er außer der Haarfarbe kaum eine Verwandtschaft zu dieser Frau ausmachen.

„Ich sagte, Waffen fallen lassen!“ Gorim hob skeptisch die Augenbraue und maß die vielleicht Fünfzehnjährige, die dennoch kaum mehr ein Mädchen genannt werden konnte, als hätte er dies nicht ohnehin längst getan, abschätzig. Eine kleine, verspielte Bewegung seines Schwertes stieß ihren Bogen unten so zur Seite, dass sie auf einen Baum, statt auf ihn zielte. Im nächsten Augenblick aber hatte er die Spitze der Klinge auf ihre ungeschützte Kehle gerichtet. „Unvorsichtig von dir so nah ranzukommen. Ich nehme mal an du hast Unterstützung dabei, oder? Ruf sie mal besser raus aus den Büschen…“ Katzengleich wich das Nordmädchen zurück und spannte den Bogen erneut, eine offene Drohung in den Augen. „Lasst die…“„Nein.“ Gorim starrte sie ohne jede Gemütsbewegung an. Sie beging den Fehler, diesen Blick zu erwidern, was Alan sofort nutzte um an ihre Seite zu gelangen und ihr nun sein Schwert auf die Brust zu setzen. „Du hast meinen Herren gehört, Frau, tu also was er sagt!“ Gorim lachte leise und kam ebenfalls näher. Er streckte die Hand aus um ihr den Bogen zu entreißen, doch es sollte ihm nicht gelingen. Sie wirbelte herum, duckte sich und ließ nun wirklich den Bogen fallen, sofort ihre Axt aus dem Gürtel reißend. „Ich hatte gehofft dass Fangzahn die Gelegenheit bekommene würde albarisches Blut zu kosten. Meine Hoffnung erfüllt sich…“ Alan zögerte kurz. Sie wirkte trotz ihrer Jugend selbstsicher, und der Mut, den sie bei ihrem offenen Angriff auf eine Übermacht bewiesen hatte, imponierte ihm. Obschon er nicht glauben konnte dass sie besser kämpfte als er und Gorim gemeinsam, wollte er es ungern auf einen Versuch ankommen lassen.

„Du bist mutig, Kleine, aber das wird dir nicht helfen. Letzte Chance… ergib dich oder koste meinen Stahl!“ Gorims Stimme blieb ruhig, von Alans fiebriger Erregung war bei ihm nichts zu spüren. Seine Aufmerksamkeit war voll und ganz auf die Kämpferin gerichtet, während seine Klinge einen spielerischen, auffordernden Kreis beschrieb.
Die Blonde lächelte wölfisch und nickte knapp, ihren Axtarm lang ausstreckend und dann mit einem einzigen Wirbel nach vorne schwingend. Gorim wich ihr spielend aus, aber das schien sie erwartet zu haben, es war nur eine Finte. Sofort schlug sie wieder zu, und dieses Mal musste er sich sehr in Acht nehmen, um den Hieb zu blocken.
Alan wich zurück, überließ sie vorerst Gorim. Zwei gegen einen war nicht sehr fair, und sein Bruder sah nicht so aus als wäre er in die Enge getrieben worden. Schlag um Schlag zischte durch die Luft, keiner der Kontrahenten vermochte es den andern kritisch zu treffen. Gorim war stark und berechnend, aber die Frau machte seine überlegene Körperkraft mit Geschicklichkeit und Ausdauer wett. Der Knappe konnte ihrem Duell kaum mit den Augen folgen, in den Kampf einzusteigen erschien ihm wie reiner Selbstmord. Gorim schien einen passenden Gegner gefunden zu haben.

Nicht lange jedoch, und es wurde offensichtlich dass der Ritter letztlich mehr Kampferfahrung aufzuweisen hatte als seine Kontrahentin. Sie wich wich zurück, flink und mit sicheren Schritten, aber sie war nun in die Defensive gedrängt worden.

Noch immer prasselte der Regen hernieder, während sie aus dem Wald heraus und auf die Ebene trat. Gorim folgte ihr ohne Zögern, aber er hatte ihre Gewandtheit unterschätzt. Sie setzte überraschend blitzschnell hintereinander zwei Finten, und während er noch die zweite abwehrte, trat sie ihm so fest sie konnte in die Kniekehle. Gleich darauf sprintete sie los. Alan zauderte seinerseits nicht lange, sprang auf sein Pferd und wollte sie verfolgen.

„Nein… lass sie…“ Gorim winkte ab. „Sie ist schnell und kennt sich hier aus. Du würdest sie nicht mal besiegen wenn du es schaffen würdest sie vor den Klippen einzuholen. Lass uns schnell weiterreiten, bevor sie mit Hilfe anrückt…“ Alan runzelte die Stirn, die Vorgehensweise behagte ihm nicht. Lieber wäre er der Norodaj auf die Schliche gekommen und hätte sie gefangen genommen, um sie auszuhorchen. Aber Befehl war Befehl und Gorim war sein Vorgesetzter. Sie setzten den Weg nach Norden fort, und hofften darauf trotz des Unwetters bald das Lager zu erreichen. An Rast oder Unterschlupf dachten sie beide nicht mehr.
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Rhianna Morgan
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Das Lager war entgegen der vorherigen besser befestigt. Es lag inmitten einer Ebene, doch die Albarianer hatten es ringsum mit einer Palisade aus Baumstämmen begrenzt. Es gab nur zwei Tore, eines nach Süden, das andere nach Westen. Die vier Wachtürme an den Ecken und die je zwei an den Toren zeigten ebenso wie der Wehrgang der ringsum führte dass man die Soldaten hier nur schwer überraschen konnte. Alan hatte dennoch ein mulmiges Gefühl im Bauch als die Brüder endlich eingelassen wurden. Durch die Holzmauer pfiff der kalte Seewind empfindlich und verteilte den Geruch von angebranntem Essen, ungewaschenen Kleidern und nach etwas unangenehm Süßlichem überall. Nicht einmal die sonst so reine Seeluft konnte den Gestank und dem feucht-zugigen Lager mindern.

Sie betraten das Zelt des obersten Ritters, und verneigten sich. Beiden fiel auf dass es hier scheinbar nur wenig mehr Komfort gab als für die gewöhnlichen Soldaten. Genau genommen einen grob gezimmerten, kleinen Tisch mit einer Karte und einen ebensolchen Stuhl, auf dem sie der Ritter erwartete. Kein Bett, sondern eine miefige Strohschütte, und keine Teppiche oder dergleichen, sondern die nackte, braune Erde vervollständigten die Einrichtung. Sir Gregor von Elwamor mochte gute dreißig Jahre zählen, und eine eindrucksvolle Narbe die über seine wettergegerbte Wange führte nur um in dem gelblichen Vollbart zu verschwinden, den er militärisch kurz trug, zeugte von seiner gefährlichen Vergangenheit, die ihm seinen grimmigen Blick aus adlerscharfen Augen verliehen hatte. Alan konnte dem Blick nicht allzu lange standhalten, zu schnell fühlte er sich unter der kalten Musterung an seinen Vater erinnert und senkte die Lider. Gorim hingegen hielt dem Starren seines Gegenübers stand und hob nur sachte die Brauen als dieser schließlich zu sprechen begann.
Er sagte beinahe die gleichen Dinge die sie schon so oft gehört hatten, dass hier Disziplin herrsche, dass er einen starken zweiten Mann brauche, und dass man den Norodaj nicht trauen könne. Aber er sagte diese Worte nicht wie einer der sie sagen muss, sondern mit dem Feuer eines wahren Fanatikers. Alan konnte förmlich spüren wie der Hass in dem unversöhnlichen Ritter brodelte, um sich über das Nordvolk zu ergießen und allesamt auszurotten.

„Hier draußen ist es weniger gemütlich als im Westen, das werdet Ihr bald feststellen, Ritter. Die Wilden brechen immer wieder bis ans Lager vor, und die Mauer kann sie kaum aufhalten. Als wir merkten wie leicht sie überwunden wurde bauten wir sie höher, stärker, aber das kümmerte diese Hundesöhne wenig. Sie klettern seitdem über die Klippen, fahren mit kleinen Booten hierher und ermorden was sie von meinen Leuten in die Finger kriegen. Die meisten Lager an der Mauer patroulieren mit zwei Mann. Ich habe Anweisung gegeben nie weniger als drei zu sein wenn das Lager verlassen wird. Und auch dann gilt äußerste Vorsicht. Wo auch immer diese Bestien gesichtet werden sind sie zu eliminieren, ohne wenn und aber. Der König weiß von unserer Not und er hat Befugnis zum härtesten Durchgreifen gegeben.“

Gorim nickte und dankte für die guten Ratschläge, und endlich wurden sie entlassen um das ihnen zugedachte Zelt zu beziehen. Da das Lager, wie sie bald erfuhren, vom Nachschub so gut wie abgeschnitten war, sah ihre Unterkunft ebenso abstoßend aus wie die Zelte der übrigen Soldaten auch. Den Luxus eines Tisches mit Stuhls hatte es scheinbar nur für einen der Ritter gegeben.
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Die Herbststürme fegten über die kleine Kate hinweg, gefolgt von der kalten, unwirtlichen Stille des Winters. Nur die Brandung rauschte wilder, ansonsten schien die ganze Welt innezuhalten und Ruhe kehrte nicht nur in der Natur, sondern auch in Alans Gemüt ein. Er konnte seinen Geist in Fesseln legen und sich zwingen, nur noch auf die weißen Wolken zu achten die aus seinem Mund dampften. Endlich ließ ihn ein Scharren am Fenster aufsehen, und er erhob sich langsam, dorthin hinkend wie es ihm die von Kälte steifen Glieder aufzwangen.
Ein schwarzer Falke, das Gefieder gesträubt und mit bleichen Flocken gepudert, scharrte abermals an dem hölzernen Rahmen. Alan lächelte ihm stumm zu und öffnete, das Tier herein hebend und die Öffnung sofort wieder abdichtend. Dennoch musste er im kalten Luftzug husten. Shadow raschelte missbilligend mit seinen verschneiten Schwingen und klackte mit dem Schnabel. Der Barde setzte seinen langjährigen Begleiter auf den Pfosten des ärmlichen Lagers und kauerte sich wieder gegen die Wand, nachdem er mit einem entschuldigenden Nicken zu dem Tier hin zumindest eine Kerze anzündete, die spärliches Licht und noch geringere Wärme spendete.

Er musste nicht mehr Sprechen, seine Worte nicht mehr unterdrücken. Seine Kehle war leer wie die eines wirklich Stummen, und sein Kopf frei von Liedern die ihn hätten inspirieren können. Frei von den Stimmen der Kritiker und Freunde, frei von allem was ihn festgehalten hatte. Nur die Erinnerungen blieben, und so lehnte er sich zurück und träumte von hellen, warmen Tagen im Sommer. Varshikarischer Hochsommer, Blüten am Meer. Siras goldenes Haar im Wind, wie Weizen in der Brise. Ihre Augen, warm und freundlich, so geduldig. so sanft. Sie war ein Wunder, das er nicht verdiente, und er wollte sie auf keinen Fall los lassen müssen.
Katarine kochte eine heiße Suppe, zum Nachtisch ihre knusprigen Zimtkekse. Ja, Zimt, so hatte sie es stets genannt. Alan konnte beides förmlich schmecken… So wenig hatte er in letzter Zeit gegessen. Nie gelacht. Er versuchte es, aber die Mundwinkel wurden nur zu einer grimmigen Grimasse. Nein, herzlich lachen war zu viel verlangt.

Tag um Tag verstrich in dem Gedankenwirrwarr in seinem Kopf, ohne dass er mehr tat als hin und wieder mit Schnee den Durst und mit dem alten Brot das die Mönche ihm hinstellten den Hunger zu bekämpfen. Er blickte ihnen oft nach, und an ihren Blicken merkte er dass sie auf seinen Tod warteten. Sie hatten den Glauben aufgegeben, was sie verrichteten war nur noch Mitleid mit einem armen Irren. Einem stummen Barden. Shadow jagte tagsüber und kehrte abends heim, missmutig, aber dennoch treuer als jeder Freund den er je gehabt hatte.
Erst als er eines Morgens den Rauch am Himmel aufsteigen sah und das laute Krachen bis zur Abtei hörbar war, packte ihn die Unruhe. Zwar klang es als wäre Bane belagert, nicht Varshikar, doch ein Krieg der einen Macht bedeutete dass auch die andere auf die eine oder andere Weise in Gefahr sein konnte. So wenig er sich um seine Freunde bekümmert hatte, er konnte nicht mit der Ungewissheit leben wie es ihnen allen ging. Sira, Katarine, Lacy… Mary… All die Varshikari bedeuteten ihm etwas, sie waren seine Familie geworden und auch seine wahre Heimat, selbst wenn es ihn immer wieder von dort forttrieb. Er zauderte noch einen weiteren Tag, zu viel war letztes Mal schief gegangen als er sein Versprechen an Sirani gebrochen hatte und ausgezogen war. Lacy hätte ihn beinahe zum Bleiben bewegt, und nur durch fluchtartiges Verlassen der Wüste war er ihr entronnen. Er wusste, sie wollte nur helfen. Aber diese Dämonen musste er alleine loswerden.

Endlich hielt ihn nichts mehr im Kloster, und er warf sich den fetzigen grauen Umhang über, hüllte sich darunter in ein Fell das er von seinem Bett nahm und machte sich auf den Weg nach Norden. Schreckliches würde ihn erwarten, aber er musste wohl auch dieses Schlachtfeld noch ertragen, wollte er seinen Freunden beistehen. Erst wenn er sicher wusste dass es ihnen gut ging konnte er beruhigt ins Kloster zurückkehren, sollte das dann wieder nötig sein.

Troll’s Banes Straßen erwarteten ihn staubig, voller arbeitender Menschen, aber auch voller Leid und Zerstörung. Das Hospital war schwer beschädigt worden und überall konnte er Barrikaden erkennen, auf denen offensichtlich gekämpft worden war. Er konnte niemanden fragen, was hier vor sich ging, zu unruhig machte ihn der Anblick. Auch sah er niemanden von Varshikars Miliz in den Straßen, es schien sich vor allem um Baner und Orks zu handeln, die die Stadt verteidigten. Weiter ging es, immer nordwärts, durch den kalten Schnee. Endlich konnte er Varshikars Turm von weitem sehen, wenigstens das Schloss stand also noch, und damit gab es für seine Freunde Hoffnung. Alan eilte schneller voran, erst als er auch die andern Gebäude unversehrt erkannte, wurde er wieder langsamer, das Gesicht nochmals sorgsam verhüllend ging er bis ans Brett, um die jüngsten Anschläge zu überprüfen. Nachdem er eine Nachricht für seine Brüder und Schwestern hinterlassen hatte ging er wieder fort. Der nächste Anfall nahte, und er wollte nicht in der Stadt sein wenn dieser ihn ereilte. Lieber riskierte er dass Shadow, der über seinen leblosen Körper wachen würde, ein oder zwei Skorpione bekämpften musste.
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Rhianna Morgan
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Wüste im Winter. Alan lächelte zynisch als er durch den feuchten Sand stapfte, auf dem hier und da noch Reste von Schneematsch überdauerten. Es war zwar wärmer als in anderen Gebieten Gobaiths, aber es war sicherlich nicht warm. Sein lumpiger Umhang hielt den Wind ebenso wenig ab wie die bloße Haut auf seinem Gesicht. Ein Gesicht vor dem er selber jedes Mal erschrak wenn er es in einer spiegelnden Oberfläche sah. Es war nicht SEIN Gesicht dass er da erkennen konnte, es war das eines lebenden Toten, wie sie in der Gruft gelauert hatten, in der die Sirani-Priesterin beinahe ihren Tod gefunden hätte. Alan konnte sich nicht erinnern jemals von einem Gesicht so abgestoßen gewesen zu sein. Aber er unternahm nichts gegen die eigene Verelendung – er hatte sie in seinen eigenen Augen verdient. Sirani strafte ihn noch immer, und sie hatte ja Recht. Welche Schwäche hierher zurück zu kehren, nur weil hier Menschen lebten die ihm am Herzen lagen. Sira, vor allem. Alan sah sie kaum, er wagte sich nicht in ihre Nähe, fühlte wie es sie vor ihm grausen musste, vor seinem neuen, hässlichen Selbst. Es hatte eine Zeit gegeben in der sie sagte dass sie ihn liebte. Es hatte eine Zeit gegeben da hatte er noch für sie gesungen, für sie gedichtet. Für sie gelebt. Doch diese Zeit war im Schwinden, jede Sekunde spürte der Barde wie ihm sein ehemaliges Glück durch die Finger rann und drohte für immer zu verrinnen. Er brauchte Hilfe, er brauchte seine Göttin, doch sie gab ihm kein Zeichen, strafte ihn mit neuen Erinnerungen. Der neue Anfall kam so plötzlich, dass Alan keine Zeit zum blieb sich hinzulegen. Bewusstlos schlug er im kalten Sand auf.
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„Los, Alan, beeil dich ein bisschen!“ So ungeduldig hatte der junge Mann seinen Bruder selten erlebt. Rasch zog er seinen Sattelriemen noch einmal fest, und schwang sich dann aufs Pferd, den andern drei Reitern aus dem Lager heraus folgend. Auf eine gewisse Weise verstand er Gorims Unruhe: Vier Tage in dem feucht-kalten Zelt und in dem muffigen Lager hatten nicht gerade dazu geführt ihre Laune zu heben. Vom Meer sah man hier nichts, dazu musste man zu den Klippen Patroullie reiten und das wollte kaum jemand auf sich nehmen, der nicht gerade den Lagerkoller bekam.

Sie ritten schnell, aber wachsam, die Ebene in alle Richtungen mit ihren Blicken absichernd. Bald erreichten sie die felsigen Klippen, majestätisch ragten sie etliche hundert Meter aus der See auf und leiteten das Donnern der Brandung so laut weiter dass man kaum das Gebrüll seines Nebenmannes verstehen konnte. Gorim teilte die Gruppe hier auf, er und einer der Soldaten ritten nordwärts, Alan und der vierte Mann in südlicher Richtung an der Felsenküste entlang. Nach einer halben Stunde, hieß es, würde man umkehren, um sich im Verlauf einer weiteren halben Stunde wieder genau dort zu treffen wo man sich getrennt hatte.

Alan gefiel dieser Befehl nicht, denn seiner Ansicht nach waren sie so weit südlich der Mauer dass es wohl kaum einen Norodaj hierher verschlagen würde. Ein Erklimmen der Klippen war in Gorims Bereich sehr viel wahrscheinlicher, und daher wäre es klüger gewesen dort zu viert zu reiten, so meinte er zumindest. Doch gerade als er erwog umzukehren und Gorim nachzueilen, streckte sein Begleiter den Arm aus und wies aufs Meer. Ein kleines Boot tanzte auf den Wellen, todesmutig nahe wagte sich der Steuermann ans Ufer, wo die wilde Brandung das Boot leicht an die Klippen schmettern konnte. Alan wies den Soldaten an abzusteigen, und nachdem sie die Pferde ein Stück weit zurückgeführt und ihre Schwerter gezogen hatten, legte sie sich an den Rand der Klippe, aufmerksam nach unten spähend.
Das Geschick des Nordmannes musste wirklich ebenso groß sein wie sein Mut, um zu vollbringen was ihm gelang. Das Boot an einer Klippe etwa hundert Meter vor der Felswand verankernd sprang die schmale Gestalt ohne zu Zögern in die eisigen Fluten, sich wie ein dunkler Pfeil auf die Klippen zu schiebend. Das wagemutige Kunststück gelang, und die Hände des Norodaj klammerten sich weiß unten an die Felsen, kaum dass eine Welle ihn nah genug herangeschleudert hatte. Der Aufprall wirkte schmerzhaft, aber ihr Gegner kletterte dennoch sofort los, mit tänzerischer Sicherheit an der Felswand emporsteigend. Alan hatte solche Geschwindigkeit und Waghalsigkeit noch nie gesehen. Wie eine Wildkatze, schoss es ihm durch den Kopf, und im nächsten Moment sprach sein Begleiter aus was er gerade erst erkannt hatte.
„Das is ne Frau! Ne ziemlich junge noch dazu!“
Die Zöpfe waren dunkler vor Nässe, und die Lederkleidung klebte statt wie zuvor lose zu fallen an dem drahtigen Körper. Trotzdem war sich Alan sicher sie wieder zu erkennen. Ja, sie war es.

„Wir holen besser Verstärkung.“ Alan warf dem Soldaten einen eiligen Blick zu. „Sie wird noch eine Weile brauchen. Wenn einer von uns reitet kann der andre ihr so lange folgen. Zu viert kriegen wir sie.“ Der Soldat lachte rau und schüttelte abschätzig den Kopf. „Das is ne kleine Frau, die schaffen wir doch alleine!“ „Nein, ich hab sie schon mal getroffen. Vertrau mir lieber, sie nimmt es ohne Schwierigkeiten mit einem Ritter auf, sie würde auch uns beide schaffen.“ Misstrauisch hob der andere die Augenbrauen. „Woher willst du denn wissen dass das die Frau is die du kennst…“ „Sie ist es, ohne jeden Zweifel. Siehst du ihre Bewegungen? Wie eine Katze, so flink. Ich werde sie so schnell nicht vergessen.“
Noch immer nicht überzeugt seufzte der andere, grinste ihn dann aber hämisch an. „Is mir recht. Ich reite los und sag dem Ritter Bescheid. Du kannst se ja so lange bewachen wenn du meinst…“
Alan verdrehte die Augen, nickte aber zustimmend. Trommelnde Pferdehufe ertönten hinter ihm während er die Frau weiterhin beobachtete, dann hörte er von dem andern Albarianer nichts mehr. Nun war guter Rat teuer. Noch war er ihr gegenüber im Vorteil, aber schon bald würde sie hier oben sein. Und dann war sie zwar erschöpft von der langen Klettertour, aber deswegen würde sie Alan und sein Pferd trotzdem nicht übersehen können. Der Knappe nahm einen großen Stein und schob sich noch näher an die Kante, um genau über ihr zu verharren… und zu zielen.
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Ein weiteres Jahr verstrich in Schweigen. Alan wanderte gleich einem Schatten über Gobaith, mal hier, mal dort, doch nirgendwo verweilte er lang genug als dass Menschen die ihn einst gekannt hatten ihn hätten finden können. Eine gewisse Gleichgültigkeit hatte sich seiner bemächtigt. Seine Freunde aus alten Tagen, jene die ihm viel bedeutet hatten... sich um ihr Schicksal zu sorgen war nicht länger seine Aufgabe. Die Anfälle ereilten ihn nun seltener, aber stetig im Abstand von etwa einer Woche. Doch er träumte nicht weiter, seit einem Jahr kehrte er wieder und wieder zu dem einen Punkt auf der Klippe zurück.

Ein Stein in seiner Faust, und die Feindin unter ihm näherte sich stetig.

Varshikar war auf den ersten Blick wie ausgestorben. Zwei Männer redeten vor der Brücke in die Zuflucht, aber er konnte ihre Worte nicht ganz verstehen. Gerade rechtzeitig kam er dazu, um zu verstehen dass der eine den andern gen Süden fortschickte. Doch aus dem Verbleibenden bekam er weder heraus woher dieser ihn, Alan, kannte, noch ob es etwas Neues in Varshikar gab. Alle Gebäude wirkten intakt und die Ruhe wirkte auf den ehemaligen Barden dieses Mal so bedrückend, dass er es kaum erwarten konnte die Wüste wieder hinter sich zu lassen, obschon er von der langen Wanderung müde und ausgehungert war. Gastfreundschaft war wohl etwas, das bei seinen Eidbrüdern nicht mehr selbstverständlich war, selbst für einen der im Namen Siranis ein Schweigegelübde abgelegt hatte.

Er wanderte dem anderen Mann nach, der natürlich längst verschwunden war. Gen Süden, in Richtung von Troll's Bane. Alan hasste diese Stadt, aber zumindest gab es dort noch mehr elende Gestalten, Diebe, Bettler und Kleinkriminelle. Ein Stummer in staubigen Lumpen würde dort nicht weiter auffallen, das wusste Alan aus Erfahrung, und er sah von vorneherein so elend aus dass es wohl auch keiner nötig haben würde ihn auszurauben. Sein müdes Gesicht formte ein bitteres Grinsen. Außer der Kleidung auf dem Leib gab es ohnehin nichts was sie ihm wegnehmen konnten.

Eine aufregende Wanderung später, nachdem er noch beinahe von einem Wolf verspeist und hinterher von einer Siranigläubigen verarztet worden war, stand er endlich auf dem Baner Marktplatz. An die Wachen aus Salkamar hatte er sich gewöhnt, aber dennoch beunruhigte ihn ihr scharfer Blick, vermittelte dieser ihm doch das Gefühl dass er, ein zerlumpter Bettler, hier nicht länger willkommen war. Ihre Sorge galt der Sicherheit der Stadt und ihrer Bürger. Alan war sich sicher, hätte er eine Waffe mitgeführt, hätten sie ihn sicherlich vor die Tore gewiesen. Doch so fehlte ihnen die Handhabe, und sie ließen ihn ziehen, fürs Erste.

Alan verbrachte den Rest des späten Abends damit, das Stadtbrett zu überfliegen, ob jemand einen Schreiber suchte, und stolperte dabei förmlich über den Anschlag der magischen Akademie. Überrascht las er die Neuigkeiten, wieder und wieder, und konnte nicht verhindern dass sein Herz etwas höher schlug. Nach langer Zeit war ihm einmal eine Neuigkeit nicht völlig egal. Ist es das, Göttin, ist das dein Zeichen an mich?

Er entschied sich einen Brief zu verfassen, und es vorerst dabei zu belassen. Voreilige Handlungen waren das letzte was er nun brauchen konnte. Ruhe und Zeit hatte er genug, und dieses beides brauchte er, um sich über alles klar zu werden. Über sich, seine Aufgaben und sein Schicksal.

Als hätte sie darauf gewartet, strafte ihn die Göttin an diesem Abend mit einem neuen Anfall. Aber dieses Mal ging die Geschichte weiter.
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Der Stein in seiner Faust wog schwer, aber dennoch konnte er sich nicht entschließen ihn los zu lassen. Sie war stärker als er, gewandter, und mit Sicherheit würde er bereuen was er gerade tat. Aber sie von oben hinterrücks zu erschlagen war unehrenhaft, und es war schlichtweg falsch. Sie war der Feind. Aber sie hatte ihm bisher nichts getan.

Vorsichtig legte er den Gesteinsbrocken neben sich, und überlegte wo er sich verstecken könnte, sie noch immer wie gebannt beobachtend. Hier war weit und breit kein Versteck. Und die Pferde hatte der Soldat mitgenommen. Gerade wollte er sich entschließen einfach die Beine in die Hand zu nehmen und zu versuchen, wenigstens eine gewisse Strecke zwischen sie und sich zu bringen, da richtete sie den Blick nach oben. Und starrte ihm direkt in die Augen.

Ihr wölfisches Grinsen traf ihn wie einen Schock, und dieses mal raffte er sich wirklich auf um davonzulaufen. Er, der Knappe, vor einer sicher ermüdeten Wilden. Hastig schweifte sein Blick die Ebene. Ihm fiel ein, was einer der Kommandanten in einem westlicheren Lager ihm gesagt hatte: Norodaj beeindruckte man nur mit Stärke. Wer ihnen gegenüber Schwäche zeigte, war von vorneherein verloren. Er würde nicht riskieren dass sie ihm einen Pfeil in den Rücken schoß wie einem feigen Deserteur. Zögerlich kam das Schwert aus der Scheide, ein leises Schnarren von sich gebend. Alan hatte dieses Geräusch noch nie gemocht.

Schmale Hände schoben sich über die Kante, und mit einer geschmeidigen, fast schon fließenden Bewegung glitt seine Gegnerin darüber. Sie musterte ihn, mit seinem Schwert in der Hand, und ein beinah amüsiertes Funkeln trat in ihre Augen.
"Mutiger ohne deinen Herren, was, Albarianer?" Alan blieb um eine Antwort nicht verlegen. Sein Vater hatte oft bemängelt dass es dem jungen Mann leichter fiel mit der Zunge zu kämpfen als mit dem Schwert.

"Nun, dieses Mal müsst Ihr jedenfalls nicht die Flucht ergreifen. Ich bin alleine." Sie warf beinahe herrisch den Kopf zurück, ein herausforderndes Blitzen in den Augen. "Mutig geheult für einen so jämmerlichen Wolf."

Sie zückte Fangzahn, schon jetzt jede Bewegung tänzerisch leicht, fast schlafwandlerisch sicher. Alan konzentrierte sich auf die scharfe Seite der kleinen Axt und mit einem Aufschrei griff er sie an.
Die Norodaj wich aus als wäre er ein kleines Kind dem sie gerade die Grundkenntnisse des Kampfes beibrachte, und versetzte ihm einen Schlag mit der flachen Seite ihres Beiles. Mit leisem Knurren fuhr der Albarianer herum, aber ehe er zuschlagen konnte war die scharfe Seite der Axt an seiner Kehle.
"Das kannste doch wohl besser... Du bist wohl noch nich so ganz warm, was?" Neckisch wich sie zurück und winkte ihm dann wieder zu, der Spott in ihren Augen war nun völlig unverhohlen. "Oder... war das etwa schon alles?"

"Ich dachte ich mache es Euch leichter... immerhin seid ihr nur ein Mädchen." Auch diese seine Herausforderung kam für Alan selber überraschend selbstsicher über seine Lippen. Sein Angriff war vorsichtiger als der letzte, er achtete darauf dass sie nicht so ohne weiteres hinter ihn gelangen konnte. Aber dennoch ging alles viel zu schnell. Sie parierte, musste nicht mal zurückspringen als er die Richtung seines Schlages auf ihre Brust gezielt änderte, sondern duckte sich spielend darunter hinweg. Das letzte an was er sich erinnerte war wie das stumpfe Ende ihres Axtstiels in höchstes Geschwindigkeit auf seine Stirn zuraste.
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Rhianna Morgan
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((Die nächste Passage muss ich aus Gorims Sicht erzählen, der Vollständigkeit halber, aber Alan kennt die Geschehnisse zumindest aus knappen Zusammenfassungen seines Bruders.))

Sie ritten entlang der felsigen Küste, und Gorim war wie meist nicht nach Reden zu Mute. Allerdings musste er sich eingestehen dass ihm Alans freundliches Geplauder über unwichtige Dinge auf gewisse Weise fehlte, wie das Geräusch eines Baches hinter dem eigenen Haus, das einem eben fehlt, sollte der Bach mit einem Mal austrocknen.

Mit einem halben Grinsen auf dem Gesicht musste sich der Ritter sofort darauf sagen, dass eben dieses Gefühl so ziemlich das dämlichste war das er je gehabt hatte. Wann immer Alan vor sich hin plapperte, empfand er es als ärgerlich, ja beinahe lästig, wenngleich er seinem nur wenige Monate jüngeren Bruder deshalb nicht über den Mund fuhr. Solange Alan redete musste er es nicht tun. Und das empfand er wiederum als angenehm, der Lästigkeit des Geredes zum Trotz.

Der salzige Wind und das ständige Tosen der Brandung begleiteten sie auf ihrem Weg in Richtung der Mauer, aber sie sahen keine Feinde, weder im Wasser noch am Land. Nach dem Verlauf der halben Stunde gab der junge Ritter das Zeichen zum Umkehren. Sie setzten die Pferde in einen gemütlichen Galopp um schneller voranzukommen, denn nun befand sich bereits erkundetes Land vor ihnen. Nach nur wenigen Minuten allerdings hob Gorim die Hand, und sie beide zügelten die Tiere. Ein dunkler Punkt näherte sich ihnen beiden rasch. Schnell erkannten die Albarianer ihren Waffenbruder.


"Herr Dantes schickt mich, Sir von Bragona, wir haben einen Feind gesichtet. Ich dachte ja wir würden alleine mit ihr fertig werden, aber er bestand darauf dass ich Verstärkung hole." Gorim warf dem Mann einen kühlen, fast strengen Blick als Antwort zu. "Herr Dantes weiß in der Regel was er tut. Ihn zu kritisieren steht dir nicht zu." - "Zu Befehl, Sir." Der Soldat wendete mit niedergeschlagenen Augen sein Pferd, und sie alle schlugen eine deutlich schärfere Gangart an als zuvor. Gorim wusste nicht warum, aber er hatte das unbestimmte Gefühl dass Eile geboten war. Alan war vielleicht nicht der beste Soldat, aber er war weder ein Idiot noch ein Feigling. Wenn er Hilfe anforderte dann nicht weil er zu feige war den Gegner allein zu stellen, und auch nicht weil er ihn womöglich überschätzte. Alan wusste genau wie viel er von sich selber erwarten konnte.

"Halt - hier war es... seht Ihr?" - "Warum bist du dir so sicher? Es könnte gut noch ein Stück weiter die Küste hinunter sein..." - "Nein, hier liegen mehr Steine als anderswo, und ausserdem sind hier die Spuren von unsern Pferden. Hier hatten wir sie stehen." Gorim nickte, gab den Befehl zum Absitzen, und sah sich unruhig um. Weder von seinem Halbbruder, noch von einem Norodaj jedliche Spur. "Und du bist dir ganz..." - "Allerdings, Sir. Ich kenn die Küste hier gut." - "Nun, wo sind sie dann? Alan und seine Gegner?" - "Es war nur ein Gegner, Sir, eine Frau wenn ich das richtig gesehn habe. Herr Dantes sprach davon sie zu kennen, und dass sie ein gefährlicher Gegner sei... Könnte es... Verzeiht, Sir... sie könne es mit einem Ritter aufnehmen sagte er."

Gorim runzelte die Stirn, denn der Gedanke der ihm kam gefiel ihm überhaupt nicht. Sie war es gewesen, ohne Zweifel, sein Bruder hätte sie gar nicht verwechseln können. Und vor allem hatte er sehr recht gehabt mit der Annahme es mit ihr nicht aufnehmen zu können. Sie war ihm weit über.
"Durchsucht die Umgebung! Wir müssen ihre Spur aufnehmen." - "Glaubt Ihr sie hat ihn getötet?" Der Ritter musterte den Fragenden grimmig und schüttelte dann den Kopf. "Ich sehe weder seine Leiche, noch größere Blutspuren. Außerdem hat sie das Pferd mitgenommen, das hätte sie wohl kaum gebraucht wenn sie nicht eine größere Last mit sich schleppen müsste, richtig?" - "Ja, Sir, sie war mit einem Boot hier..."
Seine Männer nickten, und die Spurensuche began hastig erneut. Leider war keiner der drei Männer in dieser Kunst so erfahren, dass ihnen die vielfachen Trampelspuren von Pferden, die von ihren eigenen bereits wieder überdeckt waren, noch irgend etwas hätten sagen können. Gorim fluchte innerlich, aber er hatte keine Wahl. Die Dunkelheit drohte hereinzubrechen und er hatte für zwei weitere Männer die Verantwortung. Er brachte die Patroullie zurück ins Lager, mit einem Mann weniger als er ausgeritten war.
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Rhianna Morgan
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Alan erwachte mit dröhnendem Schädel, öffnete versuchsweise die Augen, aber er erkannte nichts ausser flackernden Schemen in der Dunkelheit, selbst nach mehrmaligem Blinzeln. Als er seine Arme bewegen wollte, musste er feststellen dass man ihn gefesselt hatte.

Nach einigen angestrengten Versuchen gelang es ihm sich auf den Rücken und dann auf die linke Seite zu drehen. Jetzt endlich erkannte er die Quelle des flackernden Lichts, ein Lagerfeuer, das die junge Barbarin ihm gegenüber entzündet haben musste.
"Endlich wach, Albarianer?" Ihre Stimme war ebenso kühl wie schon beinahe gleichgültig. "Ich kenne keinen Mann mit einem so weichen Schädel wie du ihn hast." Alan antwortete ihr nicht, vor allem weil ihm in dem Donnern in seinem Gehirn kein einziges vernünftiges Wort einfiel. Ihr Schlag hatte sie alle ausgelöscht.

Verstohlen musterte er seine Feindin im ungewissen Licht der Flammen. Ihr Haar, in strenge Zöpfe entlang ihres Kopfes geflochten, die alle in ihrem Nacken endeten und die Linie ihres Kopfes malerisch betonten, schimmerte im Schein des Lagerfeuers rötlich als sei es blutbefleckt. Die bläuliche Ranke entlang ihrer rechten Schläfe und Wange stach beinahe wie eine Narbe aus ihrem so ebenmässigen, jungen Gesicht hervor. Kombiniert mit den hohen Wangenknochen und der geraden, aber schlanken Nase, ergab sich ein fast animalisches, wildes Gesicht. Sie war schön, aber auf eine unbändige und gefährliche Art schön. Alan fühlte sich von ihr nicht im Geringsten angezogen, sondern vielmehr in Furcht versetzt.

"Hats dir die Sprache verschlagen? Oder warum gaffste mich so an, he?" Katzengleich erhob sie sich aus ihrer hockenden Haltung, die sie obwohl diese sicher anstrengend gewesen war ohne Bewegung innegehabt hatte, und umrundete die Wärmequelle. Der junge Albarianer musste seinen Hals verrenken, um zumindest ihre Knie noch erkennen zu können. Dann endlich ging sie vor ihm in die Hocke, und nutzte ihre kleine Axt, um sein Kinn so anzuheben, dass er ihr Gesicht erkennen konnte. Ihre Worte waren eine eiskalte Drohung, und anders als der Spott von vorhin vollständig ernst gemeint. "Ich habe schon gehört dass ihr Albarianer eure Frauen in Käfigen haltet und ihnen nichts zutraut. Du hast wohl bereits gemerkt dassde sowas mit mir nicht machen kannst. Wenn du mich noch ein einziges Mal
so angaffst, siehst du die Sonne nie wieder, is das klar?" Alan konnte noch immer nichts sagen, selbst wenn er Worte gehabt hätte, seine verdrehte Kopfstellung liess ihn keinen Ton hervorbringen.
"Ich brenn dir die Augen aus, also beschwer dich nich dass ich dich nich gewarnt hätte." Prüfend musterte sie ihn, ob ihre Worte die gewünschte Wirkung bei ihm erzielten. Der Knappe nahm sich zusammen so gut er konnte, und offenbar gelang ihm dies sogar recht gut, vielleicht begünstigt durch das nur schwache Licht, das die Kriegerin mit ihrem Körper noch von seinem Gesicht abschirmte.

Mit einem leisen Lachen, nun wieder voll unverholenem Spott, ließ sie seinen Kopf auf den Boden knallen und stand auf.
"Schade eigentlich... du hast hübsche Augen, Albarianer. Beinahe wie die von einem Mädchen. Oder von... einem sehr kleinen Kind." Sie ging zurück an ihren alten Platz, und sank wieder in ihre Hockhaltung herunter. "Wenn alle eure Soldaten solche Augen hätten, hätten wir euch schon besiegt."

Endlich fand Alan seine Sprache wieder. "Ich habe noch nie gehört dass man eine Schlacht mit seinen Augen gewonnen hätte." Sich selber verfluchend musste er sich innerlich eingestehen, dass dies provokanter gesagt worden war als er sich gerade fühlte. Aber sie war nicht beleidigt, im Gegenteil, sie lachte nun wirklich lauter, und wären sie nicht mitten im Wald gewesen, hätte sie wohl schallend ihre Belustigung laut werden lassen. "Du hast nicht nur die Augen, sondern auch das Gemüt von einem kleinen Kind, Albarianer. Deine Augen sagen sehr viel über deine Seele aus, deinen Willen aus. Du bist kein Krieger. Du bist nich mal ein richtiger Mann. Sie hätten dich nich hierher schicken sollen, wo du getötet wirst, sondern dich besser in den Käfigen für ihre Frauen behalten. Wenigstens bis dir n Bart wächst."

Sie hätte wohl noch mehr gesagt, aber in diesem Moment knackte ein Zweig direkt hinter Alan, und mit gezücktem Fangzahn sprang sie auf, ohne lange nachzudenken direkt aus dem erleuchteten Bereich hinaus ins Gehölz, wohl um keine Zielscheibe für gegnerische Pfeile zu sein. So sehr er den Kopf verrenkte, Alan konnte nicht erkennen wer oder was sich da von hinten an ihn heranschlich. Bevor er sich auch nur den ersten Gedanken machen konnte, hatten ihn schon raue Hände von hinten gepackt und hochgerissen.


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"Sir, wir sollten wirklich eine Suchmannschaft zusammenstellen! Es ist nicht nur gut möglich dass er noch lebt, sondern sogar sehr wahrscheinlich!" Der sonst wortkarge Gorim stand mit ungewohnt blitzenden Augen vor seinem Kommandanten, der seine rechte Hand noch nie so erregt erlebt hatte. Die Steifheit seines halben Gesichts gab der Situation eine nahezu bedrohliche Stimmung, die den Ritter von Elwamor jedoch kalt liess. "Wir müssen überhaupt nichts tun. Euer Knappe wusste um die Gefahr alleine da draußen unterwegs zu sein, ich habe es ihm wie auch Euch am Tage Eurer Ankunft mehr als genau erläutert. Abgesehen davon sind diese Wilden wie Tiere, sie hat ihn mit Sicherheit getötet und seinen Körper für irgendein scheußliches Ritual mitgenommen. Und das wäre noch das Gnädigste, auf das Ihr hoffen solltet. Wenn er noch lebt, dann wird er sich bald wünschen gestorben zu sein."
Gorim verengte nur die Augen, aber da weder Alan hier war um ihm die Worte abzunehmen noch der ihm Gegenüberstehende sie zu erraten schien, musste er dann doch den Mund aufmachen. "Er ist zu wichtig um ihn zu töten, und wenn mein Verdacht sich bestätigt, haben sie das sehr wohl erkannt. Sie werden ihn mitnehmen um so viele Informationen über unser Lager herauszubekommen wie sie kriegen können."

"Und der Knappe Dantes ist so unzuverlässig dass Ihr befürchtet er hätte ihnen diese Informationen schon gegeben?" - "Nein, ich denke vielmehr er wird versuchen ihnen so lange zu widerstehen wie er kann, auf Alan kann ich mich blind verlassen. Zur Not bis in den Tod!" Der Ritter lächelte seinen jüngeren Kameraden beinahe spöttisch an. "Dann ist es ja gut." Damit wandte er sich wieder seinen Schriften zu.

Gorim blinzelte kurz, musste dann aber doch nachhaken.
"Ich verstehe nicht... also schicken wir nun einen Suchtrupp los oder was?" - "Nein, das wäre eine Verschwendung von Männern und Resourcen, eine für einen Anführer wie mich unverantwortliche Entscheidung. Ich kann und werde nicht für nur einen einzigen Knappen, der noch nicht mal adelig ist, einen ganzen Suchtrupp aufs Spiel setzten. Vor allem nicht wenn er so zuverlässig ist dass er bis in den Tod nichts ausplaudern kann. Ich muss also noch nicht mal sicherstellen dass er tot ist. Das Problem, so es je eins gab, wird sich in Kürze selbst lösen. Und jetzt muss ich Euch bitten auf Euren Posten zurückzugehen, Sir von Bragona."

Gorims Gesicht war äußerlich wieder völlig ruhig, aber die geballten Fäuste sprachen eine ganz andere Sprache. "Und das ist Euer letztes Wort?" - "Ich pflege mit dem Leben meiner Untergebenen nicht zu scherzen." Der eisige Blick des Kommandanten forderte ihn ein letztes Mal auf das Zelt umgehend zu verlassen, und dieses Mal folgte Gorim dem Befehl wortlos.

Sir von Elwamor sah ihm kopfschüttelnd nach, und brummte dann zu sich selber:
"Diese ganze Aufregung, nur wegen einem Bastard, dessen Vater sich sicher glücklich schätzt dass der Zweck, wegen dem er dem Jungen die Ausbildung überhaupt bezahlt hat, endlich erfüllt ist. Ein Bastard weniger ist immer eine schöne Sache."
Damit war für ihn der Fall erledigt, und er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Karte, über der er so eifrig gegrübelt hatte.
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"Kannst rauskommen, Kergja!" Alan wurde einmal um die eigene Achse gewirbelt, als wäre er nichts als eine Puppe, und einfach wieder fallen gelassen, beinahe noch mitten ins Feuer hinein. Seine Wächterin kam langsam zwischen den Bäumen hervor, und steckte Fangzahn langsam wieder in ihren Gürtel. "Pass künftig besser auf, Halldór. Wennste nichts gesagt hättest hätt ich dir schneller den Schädel gespalten als ich dich erkannt hätte." Ihre Stimme klang sachlich, fast kühl, als sie den Mann hinter Alan begutachtete. "Bist du allein?" - "Nay, hab Kargur und Herger dabei. Bin nur vorausgegangen um zu sehen ob irgendwelche Albarerstrolche sich hier rumtreiben." Sie nickte knapp, und zeigte dann auf Alan hinunter. "Hab dem Jarl ein Geschenk mitgebracht. Er wird sich freuen." - "Aye? Wasn das fürn Würstchen?" - "Er arbeitet für einen von den Rittern. Ich denke er könnte einiges wissen. Sein Glück, sonst hätt ich ihn einfach von der Klippe gestoßen." - "Biste dir da sicher? Diese Albarer sehn doch alle gleich aus..."

Sie schnaubte den noch Unsichtbaren verächtlich an. Zwischen ihnen schien es keine Rangreihenfolge zu geben, sie behandelten sich wie völlig Gleichgestellte, ungeachtet dessen dass sie eine noch dazu zierliche Frau war. "Weil du zu dämlich bist genau hinzusehen. Das is der Kerl den ich neulich bei dem Narbengesicht gesehn hab. Er und kein anderer."

Der Norodaj stieg ohne lange Umstände zu machen über Alan hinweg und kam damit in sein Gesichtsfeld. Er war genau das, was ein Albarer im Süden sich unter einem Norodaj vorstellte. Groß und muskulös, bestand seine Rüstung aus naturbelassenem Leder mit Fellteilen, die ihn wohl wärmen oder besonders schützen sollten. Vielleicht war es auch nur seine Auffassung von Schmuck. Von hinten konnte man nicht viel erkennen, aber Halldórs rötliches Haar war zu einem steifen Zopf zusammengefasst und hing bis zur Mitte seines Rückens. Verziert hatte er es mit mehreren schmalen Metallstreifen, die sich spangenartig um den Zopf schloßen. Auf dem Rücken trug er einen runenverzierten Rundschild, und in der rechten Hand hielt er eine Axt, die Fangzahns großer Bruder oder vielmehr Vater hätte sein können.
Mehr konnte Alan von dort wo er lag nicht erkennen, aber das genügte ihm auch fürs erste.

Die Norodaj begannen nun ein leises, hastiges Gespräch in ihrer eigenen Sprache, die für Alan so fremd klang, dass sie genauso gut Zwergisch hätten sprechen können. Ihre Blicke wanderten mehrmals zu ihm hinüber, und wenn das geschah, erklang leises, spöttisches Lachen, ein urtümlicher, gurutaler Laut, als würden sie ihr sonst dröhnendes Gelächter unterdrücken.

Sein Blick traf den des Kriegers nur einmal direkt, aber in diesem Moment schlug er sofort die Augen nieder, um nicht zu starren und dafür bestraft zu werden. Halldórs Gesicht war ebenso wie Gorims Gesicht von einer Narbe entstellt, nur dass die seine senkrecht von der Augenbraue bis knapp überm Unterkiefer führte. Zumindest sah die obere Narbe aus wie eine Fortsetzung der unteren, dazwischen trug er nämlich eine Augenklappe aus Leder, auf der ein Symbol ähnlich Kergjas Tätowierung eingebrannt war.
Als Alan sich traute wieder aufzublicken, ruhte Halldórs gesundes Auge noch immer amüsiert funkelnd auf ihm.
"Hat wohl noch dazu Schiss Narben zu sehen, dein albarischer Schönling." raunte er Kergja in der Gemeinsprache zu, laut genug, dass es der Knappe auf keinen Fall überhören konnte. Dantes verkniff sich eine Antwort, die ihm als Gefangenen ohnehin nicht gut bekommen wäre, obschon sie fertig auf seiner Zunge lag. Bei den Barbaren war es sicherlich klüger weniger zu sagen anstatt mehr.

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Gorim packte leise in seinem Zelt, er nahm dabei nur das Nötigste mit. Den Verlust von zwei Pferden konnte man ihm vielleicht ankreiden, auf der anderen Seite aber hatten er und Alan ebendiese Pferde von zu Hause mitgebracht. Sie waren kein Eigentum der Armee, sondern das seines Vaters, und damit seins. Womöglich würde ihn sein Kommandant auch wegen Fahnenflucht zur Rechenschaft ziehen. Aber auch das war ihm gleich. Alan mochte offiziell nicht sein Bruder sein, aber er war es in den vergangenen Monden mehr gewesen als alle seine richtigen Brüder ihr ganzes Leben lang. Er würde nicht akzeptieren, dass er ihn im Stich lassen musste. Seine Gesichtsverletzung hatte ihm dies zwar ohnehin fast verleidet, aber er wollte sich sollte er jemals wieder einen Spiegel in die Hand bekommen, noch in die Augen blicken können.

Die Wache am Tor musste er nicht mal bestechen. Sie bestand im Augenblick nur aus einem Mann, und gerade dieser Soldat hatte wegen Alan ohnehin ein schlechtes Gewissen. Er ließ ihn durch, und wünschte ihm sogar geflüstert alles Gute.
Keine halbe Stunde später erhob sich die Mauer über ihm wie ein schwarzes Ungetüm. Doch auch sie war kein wirkliches Hindernis. Er gab sich als Ritter zu erkennen, und auch hier ließ man ihn ungefragt durch das einzige schmale Tor - sie nahmen wohl an er habe eine geheime Mission hinter der Grenze zu erfüllen. Zu einem winzigen Teil entsprach das ja auch der Wahrheit.

Nun endlich befand er sich im Feindesland. Gorim ritt noch eine halbe Stunde, weit genug um von der Mauer aus nicht mehr gesehen zu werden, und machte dann Halt für die Nacht. Im Augenblick konnte er Alan nicht finden, er sah ja kaum die Hand vor den eigenen Augen. Sein Halbbruder würde warten müssen bis zum nächsten Morgen.


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Die Norodaj waren bis auf das Pferd, das Kergja ihm gestohlen hatte, unberitten. Die beiden anderen Krieger, Herger und Kargur, waren ein ähnlich wilder Anblick wie ihre Gefährten. Hergers Bewaffnung bestand aus zwei langen Messern, deren Spitze sich nach einer gerade Klinge von der Länge eines männlichen Unterarms leicht nach oben bog. Er trug sie am Rücken, auf Höhe der Hüfte unter seinem Fellüberwurf über Kreuz, in der Lage sie mit nur einem Handgriff sofort blank zu ziehen. Kargur hingegen war mit Jagdbogen und einigen Wurfmessern bewaffnet. Von den beiden trug jeder ebenfalls eine Tätowierung. Herger hatte sich ein Zeichen auf der Stirn aufstechen lassen, Alan konnte wegen seiner Kapuze nie ganz erkennen was es war. Kargur dagegen zeigte seine Körperbemalung erst später am Tag, als sie an einem schmalen Bach rasteten, und er sein ledernes Jagdhemd ablegte um sich kurz zu waschen. Dies und seine ungewöhnlich dunklen, bräunlichen Haare ließen Alan vermuten dass er nicht nur barbarischer Herkunft sein konnte. Neben einigen wirklich beeindruckenden Muskeln unter seiner blassen Haut konnte man auch das sonnenähnliche Symbol auf seiner linken Schulter deutlich erkennen. Beide Neuankömmlinge waren breitschultrig und hoch gewachsen, wenngleich sie neben Halldór fast mickrig wirkten.

Sie wanderten, ungeachtet der Tatsache dass sie keine Packpferde dabei hatten, erstaunlich flink auf Pfaden durch den Wald, die mehr nach Wildwechseln denn nach Wegen aussahen.

Alan machte sich keine Illusionen. Er war die meiste Zeit auf dem Pferd festgebunden, und wenn sie nicht gerade Rast einlegten, liefen die Norodaj in einer geraden Linie hintereinander, zwei vor ihm, zwei hinter ihm. Ihre Spur war zumindest schwer abschätzbar, falls überhaupt von den Spuren der Tiere unterscheidbar. Sollte irgendwer ahnen dass er nicht tot, sondern nur gefangen war, würden sie ihn hier draußen schwerlich finden.

Endlich lichtete sich das Gehölz vor ihnen, und sie traten hinaus auf die Ebene. Nicht weit von ihnen erkannte Alan das Meer, das hier eine Bucht bildete. Auf dem kargen Kieselstrand hatten die Norodaj ihre Siedlung errichtet. Fünf Langhäuser konnte er erkennen, und eine Palisade aus Holzpfählen um sie herum. Es war Abend, und zwischen den Gehöften liefen nur wenige Menschen herum. Sie alle glichen seinen Bewachern, nur dass sie weniger Rüstung und Waffen trugen. Sie mussten sich hier, einen Tagesmarsch nördlich der Mauer, relativ sicher fühlen. Dieser Anschein allerdings trügte, wie Alan nur wenig später bemerkte. Obschon die meisten von ihnen nicht zur Schlacht gerüstet waren, war doch keiner ganz ohne Waffen, nicht einmal Knaben und Mädchen von weniger als zehn Jahren. Auch gab es an der Küste und am Tor, das nach Norden ging, so wie auf dem Palisadenwall Wachen, die nach Feinden Ausschau hielten. Diese Norodajsiedlung glich denen südlich der Mauer auf den ersten Blick, aber wenn Alan in die Gesichter ihrer Bewohner sah, erkannte er, dass er es hier mit einem völlig anderen Menschenschlag zu tun hatte.


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Das Dorf... Die Erinnerung war blasser, verschwommener. Er erinnerte sich noch daran wie es gerochen hatte, nach Fisch, nach Unrat, aber auch nach Seeluft. Ja, es gab hier unangenehme Gerüche, aber anders als im Lager waren sie in diesem Dorf flüchtiger. Man entkam ihnen, statt in ihnen förmlich zu ertrinken. Und außerdem war da noch der andere Geruch der ihn erwartete, als sie sich der großen Halle näherten... nach frischem Brot, kräftigem, heißen Eintopf, und dickem dunklem Bier.
In Jahren hatte er keinen Alkohol mehr getrunken, kein Bier, keinen Wein, noch nicht mal Cider. Schon gar keinen Met wie ihn die Norodaj hergestellt hatten, dickflüssig und süss wie der Honig aus dem sie ihn gewannen. Flüssiges Gold nannten sie ihn, und bei ihnen zählte er wohl auch mehr als das Gold, wegen dem in Albar schon ganze Sippen ausgelöscht worden waren.

Alans Finger gruben sich tiefer in den Sand, während er dem blassen Mond zusah. Er hatte sich vorgenommen zu schlafen, aber er konnte nicht. Jetzt, da sich ihm die Erinnerung an jene Zeit aufdrängte, an jene Wochen in Gefangenschaft, sah er viele Dinge klarer die er damals nicht hatte sehen können, vielleicht nicht hatte sehen wollen. Er sah Gorim in einem anderen Licht, konnte sogar Kergja in einem anderen Licht sehen. Oder Halldór... wo Halldór wohl gerade steckte, und was er tat? Wahrscheinlich teilte er das Lager mit einer bis drei Frauen. Nun, gönnen würde Alan es ihm. Besser als es sich mit einem halben Dutzend Ratten in einem albarischen Kerker teilen zu müssen... oder gar tot zu sein.

Er versuchte mehr Erinnerungen heraufzubeschwören, tiefer in seine eigene Geschichte einzudringen. Da war noch etwas gewesen... was war es nur...

Und dann endlich kam es ihm. Musik. Irgendjemand in jenem Dorf hatte gesungen. Ein nordisches Lied, ungekünstelt, unverziert, aber gerade diese direkte Schlichtheit machte das Lied schön. Bis heute wusste er nicht genau um was es in dem Lied ging, und die Melodie war ihm beinahe entglitten. Beinahe? Prüfend dachte Alan nach. Sein Innerstes war so ruhig geworden, so in sich gekehrt, dass er den Klang von Musik fast vergessen hatte. Kannte er die Melodie überhaupt noch? Kannte er überhaupt irgendeine Melodie noch?

Und da durchzuckte es ihn wie einen Blitz, wie der Baum weiß dass er nach dem Winter wieder Knospen treiben muss. Sein Winter war vorbei. Mit einem Mal hatte er ihn wieder, diesen unbändigen Drang nach Tönen, nach Klängen, nach der Freude die Musik bedeutete. Wie ein Vogel der lange nicht geflogen ist, konnte er nicht wissen ob er es noch konnte. Doch es gab nur einen Weg es festzustellen. Shadow neben ihm raschelte ungeduldig mit den Flügeln. Du hast deine Schwingen, alter Freund... und ich brauche meine Instrumente wieder. Alans Hand glitt fast zärtlich über das schwarze Gefieder. Es wird Zeit dass auch ich wieder fliege, alter Freund, höchste Zeit. Es wird ein langer Weg, aber er ist nicht zu lang. Er wird beschwerlich, aber noch kann ich ihn betreten. Morgen bereite ich mich vor. In zwei Tagen brechen wir nach Süden auf.
Obwohl er gerade erst einen Anfall hinter sich gebracht hatte, weniger heftig als die vorherigen, glaubte er mit einem Mal es kehre zurück. Doch das Zittern seiner Glieder ebbte ab, ohne ihn mit Bewusstlosigkeit zu schlagen. Langsam stand er auf, seine bloßen Füße krallten sich kurz in den kühlen nächtlichen Sand. Die Göttin strafte ihn nicht länger. Zwar war es noch nicht Zeit das Schweigen zu brechen, doch sie gab ihm seinen Willen zur Musik wieder. Und damit nach und nach seine Seele.
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Sie betraten die größte der fünf Hallen, Alans Genick fest in Halldórs Hand. "Hva bringet dere maej?" Der Jarl erhob sich von seinem großen, fast thronähnlichen Stuhl an der Stirnseite der hufeisenförmigen Tafel. Er war schon recht alt, das Haar spiegelte irgendwo zwischen einem hellen Blond und einem silbrigen Grau, die Farbe, die sein Bart wohl schon lange erreicht hatte. Er trug ebendiesen Bart lang, kunstvoll geflochten endete diese prächtige Haartracht unten in einem einzelnen silbrigen Zopf, den er sich wohl aus praktischen Gründen in den Gürtel gesteckt hatte. Auch seine Kleidung war auffälliger als die der anderen Norodaj, denn über einer bestickten und mit Brandmustern verzierten Rüstung die teils aus Leder und teils aus Kettenteilen bestand, wallte ein herrlicher Pelzüberwurf aus weißen Wolfsfellen. Alan war kein Waldläufer oder Jäger, aber er konnte sich denken wie unheimlich selten diese Tiere gewesen sein mussten, und was der bodenlange Mantel demzufolge wert war.
Halldórs Faust presste ihn bodenwärts, auf die Knie, die Norodaj aber blieben stehen, wie Alan zu seinem eigenen Staunen erkannte. Ob sie sich verneigten konnte er von hier unten nicht sehen, aber zumindest beugte keiner von ihnen das Knie wie vor einem albarischen Herrscher, dessen Burg oder Stadthaus man betrat, durchaus üblich.

Zu Alans noch größerer Verwunderung erhob Kergja die Stimme. Eine albarische Frau hätte niemals unaufgefordert gesprochen, vor allem nicht wenn statt ihrer ein Mann sprechen konnte. Sie begann auf Nordisch zu reden, es klang als erzähle sie was vorgefallen war. Bei einigen ihrer Bemerkungen brachen die Zuhörer in Gelächter aus.
Nach einer ganzen Weile, Alan kam es wie eine Ewigkeit vor die er auf den Boden hatte starren müssen, von der brutalen Faust des Nordmannes nieder gehalten, erhob sich der Jarl und kam auf ihn zu. Von seiner Position aus erkannte der Albarer nur dunkle Wildlederstiefel, darüber eine hellere Fellhose, und den Mantel, der ihm zuvor schon aufgefallen war. Ohne dass er die Möglichkeit hatte auszuweichen, da Halldór noch immer seinen Nacken festhielt, musste Alan zusehen wie der Jarl auf Höhe seines Gesichtes ausholte, und ihm mit der flachen Hand einen harten Schlag versetzte. Jetzt endlich wurde er losgelassen, gerade rechtzeitig, um von der Wucht des Hiebes halb zu Boden geworfen zu werden.

"Dann sprich mal lieber, aber schnell Albarer... sag mir einen guten Grund warum ich dich nicht auf der Stelle töten sollte!"
Alan versuchte mit aller Kraft ein unkontrolliertes Zittern zu vermeiden, aber er brachte keinen Ton heraus. "Ein bisschen schneller, ich fang an mich zu langweilen... und es is nich gut wenn ich mich langweile." Alan atmete tief durch. Was hätte er schon sagen sollen? Sein Vater würde wohl kaum Lösegeld für ihn zahlen... und für die Norodaj lohnte sich das Risiko auch gar nicht, ihn so lange am Leben zu lassen. Außerdem war ein schneller Tod besser als das was er in Wahrheit befürchtete. Kergja war so unklug gewesen es in der Allgemeinsprache zu sagen: Sie hoffe Informationen von ihm zu erhalten. Informationen die er zwar kaum hatte, aber das würde man ihm nicht glauben, und zudem würde er ihnen ganz sicher nichts verraten. Also, langsamer Tod, oder schneller Tod...
"Fällt dir nichts ein, Albarer? Oder hat dir die Angst die Zunge gelähmt?" Mehrere Norodaj - wohl die die der Allgemeinsprache voll mächtig waren - brachen in raues Gelächter aus, in das die anderen nach und nach einstimmten. "Nein, ich bin nicht vor Angst gelähmt. Ich weiß nur wirklich keinen Grund warum Ihr mich am Leben lassen solltet. Daher schweige ich."
Zum Glück war er noch nie auf den Mund gefallen gewesen, und er war es jetzt noch nicht, da er sich bewusst um Kopf und Kragen redete. "Aber vielleicht haben ein paar der hier anwesenden Herren Angst davor Blut zu sehen, und deswegen bin ich noch am Leben?" - "Was?" Der Jarl packte ihn voller Zorn vorne am Wams. "Willste meinen Männern unterstellen sie wären feige Memmen?" - "Das würde mir nie einfallen. Ich habe nur gesagt es wundert mich ein wenig... ich hatte mir die tapferen Nordmänner entschlossener vorgestellt." Er wappnete sich innerlich gegen einen neuen Schlag, aber dieser blieb aus. Stattdessen ließ ihn der Jarl unvermittelt los, und er, der nicht damit gerechnet hatte, fiel erst mal wieder auf den Boden. "Pah! Das würd dem Scheißkerl so passen!" Mit schweren Schritten ging er zurück zu seinem Stuhl. "Sperrt ihn ein, und verhört ihn später. Wenn er so erpicht drauf is zu sterben, hat er uns was zu sagen. Gute Arbeit, Kergja."

Nein, die Barbaren waren bei weitem nicht so unbeherrscht und dumm wie ihm seine Lehrer beigebracht hatten. Unter der rauen, vorschnellen Schale verbarg sich ein durchaus kluger Kern. Alan verfluchte sich selber, dass er so schnell hereingefallen war.

Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, als sie ihn hochrissen und in einen der schmalen, ihm vorher neben den großen Langhäusern nicht so recht aufgefallenen Anbauten schleppten. Dort wurde er mit dem Rücken zum Eingang an einen der Stützbalken gefesselt, so dass er aufrecht dagegengelehnt saß, die Beine seitlich abgeknickt. Schon nach nur zwei Minuten konnte er spüren wie sie taub wurden. Dann ließen sie ihn erst mal alleine, aber das war beinahe schlimmer als wenn sie gleich begonnen hätten ihn zu befragen. Neben einer kleinen Feuerstelle lagen Spieße aus Eisen, an einer Wand hing eine Peitsche und direkt darunter eine lange Stange, ebenfalls aus Metall. Alan wurde leicht übel während er sich vorstellte was ein kräftiger Nordmann auf der Suche nach Informationen mit diesen Dingen anstellen konnte. Eine albarische Folter war präziser, ausgefeilter, davon ging er aus, aber dafür ging es den Nordmännern nicht darum dass er möglichst lange überlebte, nach ihren Instrumenten zu urteilen. Nun ja, dachte er bei sich, wenigstens wird es nicht so lange dauern und mit etwas Glück verrate ich noch nicht mal besonders viel...

Und so ließen sie ihn schmoren. Von draußen hörte er Schreie, freudig, laut, Gelächter. Es klang so als würden sich zumindest einige Bewohner der Siedlung ordentlich betrinken. Auch drang der Duft von geröstetem Schwein durch die Holzwand zu ihm herein. Alan spürte wie sich Flüssigkeit in seinem Mund sammelte, hörte seinen Magen vernehmlich knurren. Wann hatte er das letzte Mal gegessen? Er hatte im Lager ein knappes Frühstück zu sich genommen, einen Apfel und einen Kanten Brot. Gorims Eile beim Aufbruch hatte ihm zu mehr nicht Zeit gelassen. Das war gestern gewesen. Inzwischen war es Abend des nächsten Tages. Wasser hatte er bekommen, aber nichts zu essen.
Der Hunger ließ ihn seinen angehenden Durst fast vergessen. Ja, das letzte Trinken war auch einige Stunden her. Aber die Trockenheit in seiner Kehle war erträglicher als die Leere in seinem Magen. Noch.
Wie lange war er da gesessen, hatte in die Flammen der Feuerstelle gestarrt? Hinterher konnte er es nicht mehr mit Sicherheit sagen.

Er schreckte aus einem leichten, traumlosen Schlaf hoch, als sich jemand an seinen Fesseln zu schaffen machte und ihn in eine stehende Position zerrte, bevor die Fesseln neu gestrafft wurden. Noch konnte er die Person nicht sehen. Aber der Atem desjenigen stank bestialisch nach zu knapp gebratenem Fleisch und Bier. Alans leerer Magen revoltierte und beinahe hätte er erbrochen, ein Würgen jedenfall konnte er nicht unterdrücken.
Jetzt erst kamen zwei Norodaj nach vorne, in seinen Gesichtskreis. Beide waren betrunken, aber sie konnten sich noch auf den Beinen halten. Ihr Bier hatte sie wohl eher noch angestachelt denn besänftigt.
"Aufwachen, Albarer." Von dem dunklen Farbton seiner Haare hier im Dämmerlicht schloß Alan dass der linke Krieger rothaarig sein musste. Eine wilde Mischung aus Zöpfen und offenen Haaren reichte ihm bis auf die Schultern. Er trug ein Kettenhemd, und seine Nase erinnerte Alan an den Schnabel eines großen Raubvogels. Kleiner als die meisten Norodaj, wurde er wegen seiner Größe und dieser Nase sicherlich oft genug verspottet. Der Mann neben ihm war wie die meisten hier blond, hatte die Haare aber an den Seiten seines Kopfes abgeschoren und sich nur aus dem mittleren Streifen einen Zopf geflochten der bis in den Nacken reichte. Sein Gesicht wirkte plump, roh, wie eine nicht zu Ende geschnitzte Skulptur. Auf eine Alan unangenehm grobe Art machte er einen einfältigen Eindruck. "Wir würden gern n bisschen mit dir reden, Eure Lordschaft, wenns denn genehm is." Alan runzelte verwirrt über die verdrehte Anrede kurz die Stirn - ein Fehler. "Was hab ich dir gesagt, Mergur? Der hält sich für was Besseres. Findest meine Aussprache wohl witzig, du Bastard?" Zur Enttäuschung des Rothaarigen reagierte Alan auf diese Beschimpfung gelassen. Er war sie von klein auf gewöhnt, und sie entsprach nun mal der Wahrheit. Nichtsdestotrotz holte der Fragende knurrend aus und hieb ihm die Faust so fest er konnte auf den leeren Magen. Alan versuchte ein schmerzhaftes Aufstöhnen zu unterdrücken, was ihm nicht gelang. Reflexmäßig wollte sein Körper sich nach vorne krümmen, und konnte wegen der Fesseln nicht, die in Folge des sinnlosen Versuchs tiefer einschnitten.
"Ich hab dir ne Frage gestellt!" Bevor Alan etwas sagen konnte, traf die Faust des Rothaarigen erneut, keine zwei Fingerbreit unterhalb des noch immer vor Schmerz hämmernden Punktes. Alan konnte noch nicht mal schreien oder aufstöhnen, dieses Mal entglitt ihm nur ein stummes Japsen. Bunte Punkte tanzten vor seinen Augen, aber er wurde zum Pech für ihn nicht bewusstlos.

"Weißte, mein Bruder is letztes Jahr von einem von euch umgebracht worden..." Der Rothaarige trat näher an ihn heran, und schlug hielt mit einer Hand Alans Kinn fest. "Sieh mir gefälligst in die Augen wenn ich mit dir rede!" Alan versuchte ihn durch das ständige Geflimmer hindurch besser zu erkennen, und so allmählich wurden die Schemen des erbosten Norodaj ersichtlich. "Ach, du willst nich? Gut, dann brauchste dein Auge sicher nich mehr, wennstes eh nich benutzt!" Im nächsten Moment traf ein weiterer harter Schlag die obere Hälfte seines Gesichtes, und Alan konnte sein rechtes Auge fast augenblicklich zuschwellen spüren.

"Sie haben ihn nich gleich getötet... erst ham se ihm Fragen gestellt... ein bisschen so wie ich dir jetz. Und dann ham se ihn gebrandmarkt un' wollten ihn als Sklave in nen Steinbruch schicken, diese Hurensöhne von deinem Volk. Aber er war stärker als sie, is abgehauen, und hat es bis hier geschafft, verwundet un' ganz alleine." Zu Alans Verwunderung schlug ihn sein Peiniger in dieser Gesprächspause zur Abwechslung mal nicht. "Er war verdammt krank, als er endlich hier war. Is in meinem Armen gestorben. Ich hab keine Gelegenheit bekommen ihn zu rächen."
So allmählich wurde dem Knappen nur zu klar dass er keine wirklichen Fragen gestellt bekommen würde. Nein, hier ging es nicht etwa um ein Verhör. Das war blutige Rache. "Siehste Mergur da drüben? Seine Schwester war bei meim Bruder als es passiert is. Die beiden wollten ne Familie gründen wenn se wiederkommen, aber se sin' nich wiedergekommen."

Mergur spuckte ihn an, und schlug nun seinerseits mit der flachen Hand zu. Er hatte in dieser ganzen Zeit keinen Ton von sich gegeben. Abgesehen von dem Klatschen auf seiner Wange, die schon von vorher malträtiert war, hörte Alan auch jetzt nichts während sein Kopf zur Seite schnellte.

Endlich konnte er wieder sehen, wenngleich durch einen Schleier von Tränen vor Schmerz in seinem Bauch. Was er allerdings sah gefiel ihm überhaupt nicht. Es war nie ein gutes Zeichen wenn Männer Eisen ins Feuer legten.
"Ihr wisst dass ihr beide das nicht tun müsst... es wird eure Geschwister nicht lebendig machen..." Beide lachten freudlos auf. "Nein. Wird es nicht." Murger grinste, und wendete das Eisen, das allmählich rötlich glühte. "Aber das is auch nich das Ziel von Rache, aye?"
Jemand hatte sein Hemd aufgerissen, und das Eisen näherte sich jetzt unaufhaltsam der ungeschützten Haut. Er konnte die Wärme die es abstrahlte schon lange spüren, ehe es ihn traf...


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Panisch schreiend wachte er auf. Das Laken seines Bettes war durchnässt und zerwühlt, er zitterte am ganzen Leib. Ein Traum, sagte er sich immer wieder, es war nur ein Traum. Nur eine Erinnerung. Es ist nicht gerade passiert. Du bist hier in Sicherheit.
Noch immer bebend setzte er sich an den Bettrand, und hob den Wasserkrug direkt an seine Lippen, um einen tiefen Schluck zu trinken. Dann füllte er seine Waschschale mit dem kalten Nass und schöpfte sich eine ordentliche Ladung davon ins Gesicht. Es perlte ab und floß nach unten über seine Brust. Seine Augen folgten der silbrigen Spur im Mondlicht. Als wüsste das Wasser was es meiden musste, umging es die fünf Narben auf seiner Haut, zwischen denen die Rippenknochen durchschimmerten. Gedankenverloren berührte er sie, noch immer mit bebender Hand. Hätte ihn jemand aufgefordert die Schmerzen zu beschreiben, die sie gebracht hatten, er hätte es nicht gekonnt. Hastig schöpfte er erneut und kühlte sein feuchtes Gesicht.
Der Krieg macht uns alle zu Monstern... Wer nur hatte das gesagt? Er versuchte sich zu erinnern, aber es gelang ihm nicht auf Anhieb. Unruhig stand er auf, zog sein lumpiges Hemd an, schlüpfte in die Hose. Sorgsam machte er das Hemd zu, bedeckte das Andenken an die qualvollste Nacht seines Lebens. Und versuchte zu vergessen wie es sich anfühlt, wenn man vor Schmerz nicht mehr atmen kann.
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Rhianna Morgan
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Die Stille zwischen seinen Schreien war nicht länger Stille, sondern gefüllt von seinem Wimmern. Er versuchte es schon nicht mehr zu unterdrücken, dafür fehlte ihm längst die Kraft.
Das glühende Metall berührte einmal mehr seine Brust, brannte sich heiß in seine Haut und sein Fleisch. Er hatte immer gedacht, verbranntes Fleisch werde schwarz, aber das stimmte nur zum Teil. Im ersten Moment wurde es weiß, und in diesem Moment tat es stets noch weh. Je länger aber das Metall sich in die Haut brannte, je tiefer es kam, desto schlimmer wurden diese Schmerzen. Bis zu einem bestimmten Punkt. An diesem Punkt fühlte man gar nichts mehr an jener Stelle, nicht mal die Wärme.
Sein Schrei gellte wie die vier vorigen laut auf, zerriss die stickige Wärme in der Hütte und den scheußlichen Gestank von verbrannter Haut. Alan zuckte hoch wie die paar Male zuvor, den Schmerz an den gefesselten Gliedern nicht mal spürend als raues Seil über seine inzwischen blutigen Handgelenke scheuerte.

Dann hörte es auf, der wahnsinnige Schmerzrausch wurde zu einer stilleren, aber stetigen Qual, und er hing wieder mehr an dem Balken als er stand. Und in diese halbe Bewusstlosigkeit hinein hörte er den Knall.

"Was im Namen Tanoras geht hier vor?" Die Stimme kannte er, ohne Zweifel, aber er war zu ermattet um über sie nachzugrübeln. "Wie könnt ihr nur? Na wartet, ich werde es dem Jarl melden, und dann werdet ihr beide bitter bereuen was ihr getan habt!" Jemand trat an ihn heran, hob seinen Kopf mit einem kräftigen Griff in seine Haare an und ließ ihn nach einem kurzen Augenblick wieder nach vorne plumsen, aber vor seinen Augen tanzten gerade wieder bunte Sterne. "Er wird gar nich erfreut sein, im Gegenteil..." - "Wennste ihm nichts sagst, wird er au nichts merken!" - "Du bist ja wohl dümmer als der Godhi erlaubt! Klar wird er merken dass ihr seinen Gefangenen fast umgebracht habt!" Die weibliche Stimme wurde ruhiger, aber dadurch auch kälter, fast eisig. "Eure Wachschicht is vorbei, ich übernehme hier. Verpisst euch, bevor ichs mir anders überlege und euch noch nen kleinen Denkzettel mit aufn Weg gebe! Raus!"

Schritte entfernten sich, jemand hob seinen Kopf erneut an, tastete vorsichtig über sein rechtes Auge, er hörte dass dieser Jemand die Luft stark einzog. "Warte, Albarer, ich schneid dich hier mal runter... So kannste nich hängen bleiben..." Er verlor den Halt, fiel in sich zusammen. Den Aufprall bekam er schon nicht mehr mit.


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Gorim folgte der Küste so gut er das durch das Dickicht hindurch konnte. Jeder Wildwechsel hier konnte ihnen benutzt worden sein, nach Spuren zu suchen war sinnlos. Er war ohnehin nie gut darin gewesen. Doch wenn diese Norodaj mit Schiffen und Booten die Küste hinab segelten, dann mussten sie irgendwo landen. Und ein Boot lässt man nicht tagelang unbeaufsichtigt irgendwo liegen. Vor allem nicht wenn man vom Fischfang lebt. Wenn er die Boote fand, fand er die Norodaj. Und wenn er die Norodaj fand, fand er Alan.

Er brauchte fast einen ganzen Tag, um die Küste hinaufzukommen. Zwar konnte er ab und an einen Wildpfad benutzen, dann allerdings schwenkte er wieder ins Dickicht, um näher ans Meer zu kommen. Außerdem musste er vorsichtig sein... Wäre er der Anführer einer kleinen Siedlung hier oben im Grenzland, hätte er Späher, und er musste davon ausgehen dass die Wilden soviel Verstand auch besaßen. Gerade überlegte er wo er sein Lager für die Nacht aufschlagen sollte, da sah er es. Ein kleines Boot steuerte der Küste zu, gerade noch in seinem Gesichtsfeld. Er konnte sehen wie sie in eine Bucht einfuhren. Dort würden sie sicher vor Anker gehen. "Hab ich euch..." murmelte er, und klopfte seinem ermüdeten Pferd auf den Hals.
"Gut gemacht, alter Knabe. Wir kriegen sie." Du redest mit Pferden, dachte er kurz darauf, noch während er abstieg. Doch dann schob er es darauf dass die Stille ohne Alans Geplapper einfach zu still geworden war.


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Er sollte es eigentlich besser wissen als unterwegs Halt zu machen, ein kleines Lagerfeuer zu entzünden und dann auch noch einzuschlafen. Zwar enthielt seine Tasche nichts als ein altes, trockenes Stück Brot und etwas Käse, zusammen mit einer halben Wurst in ein Tuch eingeschlagen. Trotzdem hatte er riskiert dass ihm jemand auch noch diese wenigen irdischen Besitztümer stahl. Wütend über sich selbst, und verstört von dem Traum, der prompt an seinen letzten Alptraum angeknüpft hatte, beschloß Alan, den Weg Richtung Bane sofort fortzusetzen. Erinnern konnte er sich auch wachend, vielleicht gelang es ihm so, die meisten schmerzlichen Gedanken aus seinem Kopf herauszuhalten. Und bis zum Eldankloster war es noch ein weiter Weg.

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Alan erwachte, auf dem Rücken liegend. Irgendetwas beschwerte seine Brust und ließ ihm kaum Luft zum Atmen. Er versuchte die Augen zu öffnen, bekam aber nur das linke auf, und als er deswegen verwirrt das Gesicht verzog, musste er einen jammernden Laut unterdrücken. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nie so elend gefühlt.
"Ah, dy aer vaken, Albarer." Abermals eine Frauenstimme, aber diese hatte er noch nicht gehört. Obwohl die Sprache ihm unbekannt war, erkannte er doch den Sinn dessen was sie festgestellt hatte.

Er verdrehte den Kopf so weit es ihm gelang, konnte sie aber erst erblicken als sie an seinem niedrigen Lager in die Hocke ging. Ihr Gesicht erinnerte ihn frapierend an jemand anderes, doch es wollte ihm nicht gelingen sie einzuordnen. Ihr Haar, blond und weich, lockte sich hin und wieder aus dem langen, schweren und dicken Zopf, der über ihre rechte Schulter nach vorne fiel. Ihre Kleidung bestand aus braunem und grünem Stoff, grob gewebt, aber an den Säumen mit Runen bestickt. Ihre blauen Augen funkelten warm und neugierig zu ihm herüber, allerdings auch mit einem gewissen Schalk.

"Prov sette, yhtlenning." Verständnislos starrte er sie an, aber ihre unterstützende Hand an seinem Rücken machte ihm schnell klar, sie wollte dass er sich aufsetzte. "Gu joret." Ihr aufmunterndes Lächeln und Nicken sagte ihm, dass sie mit ihm zufrieden sein musste. "Wo bin ich?" Kopfschüttelnd wehrte sie ab, sie verstand ihn offenbar nicht. Alan zeigte auf sie, und fragte stattdessen, sehr langsam, "Wie nennt man dich? Wie heißt du?" Ihr Zögern dauerte dieses Mal an, dann endlich lächelte sie, und antwortete: "Kaela. Jaej aer Kaela." Der Gefangene wiederholte ihren Namen leise, und zeigte dann auf sich selber. "Alan." Auch sie wiederholte seinen Namen, aber sie betonte ihn anders als er es getan hatte. Nach einem zweiten, wieder fehlgeschlagenen Versuch, den Namen genau zu wiederholen, lachte sie leise auf, und erhob sich aus ihrer hockenden Haltung, um ihm eine Schale mit heißer Brühe zu holen. Jetzt, aufgerichtet und gegen die Wand gelehnt, erkannte Alan dass was er für eine Falte des Stoffes unter ihren Brüsten gehalten hatte, eine deutliche Vorwölbung ihres Bauches war.

Sie brauchte ihm nicht zu sagen dass er besser sitzen blieb. In seiner Brust brannte es noch immer wie von Feuer, und an einigen Stellen spürte er nur ein taubes Kribbeln. Dafür tat ihm jeder Atemzug weh wie etliche Nadelstiche direkt in seine Lunge, und jedes noch so kleine Verziehen seines Gesichts wollte er am liebsten mit einem Schreien verknüpfen. Für einen Augenblick war er froh dass er nur durch ein Auge sehen konnte, und dass kein Spiegel zur Hand war. Er wollte das gar nicht wissen.

Noch immer fiel ihm nicht ein an wen sie ihn erinnern könnte. Während er seine Brühe direkt aus der Schale trank, einen Löffel gab es nicht, beobachtete er sie beim Aufräumen des kleinen Langhauses. Er war eindeutig nicht im Haupthaus, sondern in einem der vier kleineren Gebäude. Nach und nach fielen ihm weitere Frauen auf, die ein und aus gingen, Körbe mit Kräutern, Fischen und Kleidern trugen, Wasser hereinbrachten, oder Unrat fortschafften. Sie alle plapperten lautstark aufeinander ein, keiner von ihnen war übermäßige Hektik anzumerken, und obwohl sie nicht so aussahen als seien sie alle verwandt, halfen sie sich doch gegenseitig als wären sie Mitglieder einer Familie. So konnte er beobachten wie ein junges Mädchen Kaela das Wasser für ihren Kessel brachte, während eine ältere Frau von der Suppe probierte und unaufgefordert noch ein bestimmtes Kraut mit hineinwarf, Kaela dabei eifrig etwas erklärend. In einer Ecke spielte eine Gruppe Kinder, sie alle blond- oder rotgelockt, sie alle hatten staubige Gesichter, und geflickte Kleidung, die teilweise sicherlich noch etwas zu groß war, vielleicht ein Erbe von einem älteren Geschwisterchen. Was ihm aber auffiel war dass auch sie eine freundliche Art des Umgangs miteinander hatten, sogar zwei Jungen, die sich wegen eines Holzschwertes zu prügeln anfingen, gaben sich danach grinsend die Hand, und halfen sich gegenseitig vom Boden auf.

Weit und breit sah er keine Männer, obwohl es allmählich dunkler im Langhaus wurde, und das durch die Fenster einfallende Sonnenlicht von Gold zu Orange wechselte.

Erst als es draußen dunkel geworden war, und die Frauen an den Wänden Fackeln entzündet hatten, konnte er von draußen dröhnendes Gelächter vernehmen. Eine Gruppe männlicher Norodaj kam herein, teils durchnässt, allesamt schmuddelig von einem langen Tag draußen. Er kannte von ihnen allen nur einen, der ihm sofort wieder ins Auge fiel: Halldór kam breit grinsend als letzter durch die Tür und schmetterte sie lautstark zu. Alan folgte ihm mit den Augen zu Kaela, und bemerkte verwirrt wie der mindestens doppelt so alte Mann ihr die Hand auf den Bauch legte und ihr einen schallenden Kuss gab, was ihr offenbar alles andere als widerstrebte, im Gegenteil, sie küsste ihn ebenso zurück.
In all dem Trubel konnte er nicht hören was sie sagte, aber Halldór ging widerspruchslos an den Kamin und hängte sein klitschnasses Hemd davor, zum Trocknen, während sie ihm bereits ein frisches herbeiholte.


"Ha! Was haben wir denn da? Albarer, du lebst ja immer noch, aye?" Der Norodaj kam auf ihn zu, von Freundlichkeit war wenig zu spüren, in seinen Worten lag eher Spott. Dennoch machte er einen weitaus weniger feindseligen Eindruck als die beiden Männer vom Vorabend, was Alan ein gewisses Vertrauen einflößte. "Meine kleine Hexe hat dich also wieder zusammengeflickt... Da haste noch mal Glück gehabt. Vor allem dassde sie zum Zusammenflicken hattest. Ich hätt' es nich' gemacht, nay. Aber es war ihre Entscheidung, da red' ich ihr nich..." Er hätte wohl noch weiter gesprochen, aber seine Frau kam von hinten auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf den Arm. Was auch immer sie in ihrer unverständlichen Sprache sagte, es brachte Halldórs Gedanken von Alan zum Essen, denn er küsste sie auf die Stirn und begab sich zu seinen Kameraden, die um die lange Tafel herum Platz genommen hatten und es sich schmecken ließen, ihre Frauen und Kinder mitten zwischen ihnen.

Kaela brachte auch Alan noch einmal eine Ration Essen, doch sie blieb dieses Mal nicht bei ihm, sondern begab sich zu ihrem Mann, auf dessen Schoß sie über einen seiner dröhnenden Scherze lachend Platz nahm.
Der Albarer sah ihnen allen noch eine Weile zu, aber seine Schmerzen nahmen nun als es auf die Nacht zuging wieder zu, und er schaffte es gerade noch sich hinzulegen bevor er trotz der hohen Lautstärke um ihn herum wegdämmerte.


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Die Erinnerung an jenen Tag im Langhaus war verschwommen, aber es gab Augenblicke und Menschen, die man nicht vergaß. Kaela, wie ein fröhlicher Sonnenstrahl, und Halldór, der entstellte, laute Krieger. Ein ungewöhnliches, aber glückliches Paar.

Der frühe Morgen hatte sich nur zu bald in einen späten Nachmittag verwandelt, als endlich Bane vor ihm auftauchte. Alan gönnte seinem müden Bein Rast von der weiten Strecke, und übernachtete innerhalb sicherer Mauern, obschon ihm diese Stadt noch nie behagt hatte. Sie erinnerte ihn trotz der salkamaerischen Besatzer nach wie vor an Gynkh, wie er es sich in seinen unangenehmsten Fantasien ausmalte.

Kaum dass der Morgen graute und das Südtor geöffnet wurde, war der Barde wieder auf den Beinen und wanderte weiter nach Süden. Unterwegs überholten ihn ab und an Händler, Halblinge auf dem Weg in ihr Dorf Greenbriar, und Elfen, die von Bane zurück nach Vanima gingen. Er passierte die Farmers Union gegen Mittag, und bald darauf den Hafen, wo er rastete und die mannigfaltigen Schiffe aus aller Herren Länder bestaunte. Doch er hatte nicht viel Zeit zu verlieren, und setzte seinen Weg westwärts fort.

Das Kloster war nurmehr eine Ruine, die Mönche schienen es verlassen zu haben, ohne Bewohner war es dem Zerfall preisgegeben. Alan betrachtete sich diesen Ort, der doch der Stille und dem Gebet gewidmet sein sollte, voller Wehmut. Nachdem er sich ausgiebig umgesehen hatte, begab er sich an die Klippen, wo hinter den Klostergebäuden die kleine Kate stand, in der er einige Monate verbracht hatte. Mit zitternder Hand öffnete er die Tür, und lugte in das erstaunlich gut erhaltene Innere. Es wirkte fast als würde jemand hier regelmäßig her kommen und aufräumen. Sogar ein richtiges Bett war an Stelle der Pritsche getreten, auf der er so viele Nächte verbracht hatte. Das Wichtigste allerdings war noch dort wo er es gelassen hatte. Niemand hatte die Truhe entfernt, und er fand sie noch genauso verschlossen vor wie er sie zurückgelassen hatte. Beinahe ehrfürchtig wischte er den Staub von ihrem Deckel, und schloß mit dem Schlüssel, der unter einem losen Stein am Fenster auf ihn gewartet hatte, das Schloß auf.

Sie lagen dort, ebenso wie er sie hineingelegt hatte um sie vor seinem eigenen Wahnsinn zu schützen: Die Flöte am Rand, ein schlichtes Instrument aus Walnußholz, die kleine Harfe in ihrem Säckchen, und zuunterst das Herzstück seiner Instrumente, er kannte es in- und auswendig, hatte es so viele Male berührt, dass jeder kleine Kratzer und jedes matte Holzteil ihm ein vertrauter Freund waren. Er steckte die Harfe in seine Tasche und die Flöte in seinen Gürtel. Dann hob er die Laute mit bebenden Fingern heraus, und legte sie sich auf die Knie. Er wagte kaum sie weiter anzufassen, doch dann, endlich, berührten seine Finger die zarteste ihrer Saiten.

Zusammenzuckend musste er sich eingestehen dass er sogar ohne eine weitere Saite anzustimmen sofort bemerkte wie verstimmt sie war. Selbstvergessen, das einsetzende Pochen im lahmen Bein ignorierend, nahm er sein Lieblingsinstrument, seinen alten Freund, hoch und begann sie zu stimmen. Er ließ sich viel Zeit, die schrägen Töne störten ihn ebensowenig wie er sich von einer ansteckenden Krankheit davon hätte abhalten lassen, einen tatsächlichen Freund zu besuchen. Endlich war sie fertig, ihre Akkorde mischten sich rein in die kühle Abendluft als er probeweise die Saiten gemeinsam anschlug.

Erst jetzt richtete er sein Augenmerk erneut auf die Truhe. Ein Säckchen war noch darin. Er nahm es an sich, lugte hinein, fand eine Handvoll Münzen und eine weiße Feder, die Feder einer Taube. Lächelnd erinnerte er sich an seinen Versuch, damit eine magische Illusion herbeizuführen, einen schönen Vogel zum Himmel aufsteigen zu lassen.

Er ließ die Truhe offen, und legte in das jetzt leere Behältnis den zugehörigen Schlüssel, für den nächsten, der vielleicht etwas darin bewahren wollte. Er hatte sich sein Leben wieder abgeholt. Jetzt konnte er beinahe wieder in seine Heimat Varshikar zurückkehren.

Zwei Tage später verließ er am frühen Morgen Trolls Bane nordwärts. Wer ihn noch ein paar Stunden zuvor gesehen hatte, hätte ihn nicht wiedererkannt. Er trug Kleider, die zwar nicht vom feinsten Schnitt waren, aber doch zumindestens ohne Risse und Schmutz, hatte sich von Kopf bis Fuß gewaschen, seine unbändigen Haare sauber auf Kinnhöhe gestutzt, und seinen räudigen Bart komplett abrasiert. Wäre sein Gesicht nicht so hager und müde gewesen, er wäre wieder der junge, fröhliche Alan Dowland gewesen, der vor nur fünf Jahren wohlgemut auf Gobaith gelandet war.
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Rhianna Morgan
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Noch war es ungewohnt, aber dennoch tat es gut, wieder zu sprechen, die eigene Stimme wieder zu hören. So vieles wurde leichter, nur das Eine noch nicht. Er hatte seine Instrumente geholt, er trug sie täglich bei sich, aber noch konnte und wollte er weder spielen noch singen, als ahne er, dass es in seinem jetzigen Zustand eine Beleidigung seiner früheren Kunst gewesen wäre. Regelmäßig stimmte er die Laute, jeden Tag ums neue, und genoß die weichen Klänge die wie Tautropfen von den Saiten perlten.

Noch etwas ließ ihn aber stets aufhören, noch ehe er zu spielen begonnen hatte. Die Lieder der alten Zeit, vor seinem Schweigen, waren nur neblig in seinem Gedächtnis hängen geblieben. Er kannte Teile davon, einzelne Tonfolgen und Wortfetzen. Aber nicht ein Lied fiel ihm ein das er hätte spielen wollen. Vielleicht war es Zeit, ein neues Lied zu lernen, etwas neues zu dichten, anstatt sich das Hirn nach Altem und Verbrauchten zu zermartern, so gut es damals angekommen sein mochte. Und es war ebenso Zeit, sein Leben weiter zu leben. Er brauchte eine Verdienstmöglichkeit, er hatte die Gnade der anderen satt, hatte es satt das zu essen was man ihm schenkte. Wie ein Parasit kam er sich vor, aber er würde es ändern.
In keinem Handwerk war er jemals geschickt gewesen, und es widerstrebte ihm noch immer, Tiere zu töten, sei es nur wegen dem Blutgeruch, oder sei es, weil er ihre traurigen Augen nicht ertrug. Er hatte zu viel Leid verursacht. Doch wer sagte denn, das man eine Begabung haben musste, um Brot zu backen? Sicher, Katarine war in diesem Milieu eine wahre Künstlerin gewesen, ihre Back- und Kochwaren stets eine Offenbarung.
Doch musste er in allem was er anfasste gleich perfekt sein? Nein, gab er sich selber zur Antwort. Er würde singen und spielen nicht mehr um des Geldes willen, sondern als Geschenk an die Welt. Und er würde arbeiten, bis er dazu bereit war, um sich jetzt und in Zukunft über Wasser halten zu können.
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